Quelle: Tagesschau
O7.01.10
Von Christina Janssen, ARD-Hörfunkstudio Prag
Ob Hasch oder Kokain: In Tschechien gilt seit dem 1. Januar eines der
liberalsten Drogengesetze in Europa. Das stellt, was die erlaubten
Mengen und Substanzen angeht, sogar die Niederlande in den Schatten.
Die große Freiheit beim Kiffen und Koksen wird aber auch kritisiert.
Die Stimmung im Prager Club Ujezd ist entspannt – schon am Nachmittag
sitzen hier junge Leute an der Bar, trinken Bier und rauchen selbst
gedrehte Zigaretten. Der typische, süßlich-schwere Geruch von
Haschisch füllt den Raum. Und Klubmanager Martin Kmoch kann sich
dieser Tage aufrichtig freuen, denn das neue tschechische
Drogengesetz erleichtert ihm das Geschäft: “Unser Klub wurde nach der
Wende ausdrücklich gegründet, damit die Leute hier in Ruhe ihre
Joints rauchen können. Jetzt können sich unsere Gäste richtig
entspannen, weil das Gesetz seine Hand nicht mehr nach ihnen
ausstreckt.”
Ladislav, ein Student mit Strickmütze und Kapuzenjacke, ist Stammgast
im Club Ujezd. Er bläst eine Rauchwolke in die Luft und atmet tief
durch: “Das neue Gesetz bedeutet für Leute wie mich keinerlei
Einschränkung, denn die Mengen, die jetzt erlaubt sind, sind riesig.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand wirklich 15 Gramm
Marihuana mit sich herum trägt. Wir müssen also keine Angst haben.”
Harte Drogen Ahoi!
Tschechien ist schon lange für seine liberale Drogenpolitik bekannt.
Mit der neuen Regelung wird es zu einem der liberalsten Länder
Europas: Für den eigenen Bedarf sind seit dem 1. Januar nicht nur
bestimmte Mengen an Haschisch oder Marihuana erlaubt, sondern auch
härtere Drogen: vier Ecstasy- oder fünf LSD-Tabletten, ein Gramm
Kokain oder anderthalb Gramm Heroin – dreimal so viel wie in den
Niederlanden.
Das Argument für die Freigabe: Drogensucht sei vor allen Dingen ein
gesundheitliches Problem, kein kriminelles. Außerdem sei nun erstmals
klar geregelt, was gehe und was nicht. “Die Regelung bringt
Rechtssicherheit”, meint Jakub Frydrych, Direktor der tschechischen
Anti-Drogen-Behörde. “Wenn wir das Beispiel Marihuana nehmen: Da ist
die Herstellung weiterhin strafbar, aber der Besitz von Marihuana
nicht, so lange die Menge unter dem Limit ist. Die Freigabe betrifft
allerdings nicht die Dealer, wenn jemand mit Drogen Geschäfte macht,
dann bleibt das strafbar, unabhängig von der Menge, die er verkauft.”
Kaum Ausgaben für Prävention
Doch viele Kritiker sind enttäuscht. Der Psychologe Ivan Douda hat
vor 20 Jahren die Hilfsorganisation “Drop In” gegründet und kümmert
sich seitdem in Prag um Drogensüchtige. Aus seiner Sicht ist die neue
Regelung ein Schritt in die falsche Richtung: “Es ist offenkundig,
dass die Polizei keine Chance hat, den Drogenmarkt effektiv zu
regulieren. Deswegen wäre es wichtig, die Ausgaben in der
Drogenpolitik auf die Prävention zu konzentrieren.”
Genau da hinkt Tschechien aber hinterher: Für Aufklärung und Hilfe
gibt das Land nur einen Bruchteil dessen aus, was etwa die
Niederlande pro Einwohner und Jahr investieren.
Die Folgen hat Ivan Douda täglich vor Augen: In dem kleinen Warteraum
von “Drop In” in der Prager Altstadt sitzen schon früh morgens junge
Leute in abgerissener Kleidung. Freiwillige Helferinnen verteilen
Tee, Suppe, Vitamintabletten und saubere Spritzen für die
Drogensüchtigen.
Einer von ihnen ist Tomas; der 31-Jährige mit dem kurzen schwarzen
Haar und der schmuddeligen Lederjacke ist seit vielen Jahren
heroinabhängig: “Ich hatte immer Probleme damit, habe mich immer
versteckt, aber vor ein paar Jahren hat mich die Polizei geschnappt
und ich saß 20 harte Monate im Gefängnis.”
Die neue Drogenrichtlinie stimmt Tomas fast euphorisch – eine
Einschränkung macht er dennoch: “Das ist die Revolution, das wird
hier zu einem Drogenparadies. Die weichen Drogen, die sollen sie doch
einfach ganz legalisieren. Aber die harten, das sehe ich anders. Die
sollten nur unter der Aufsicht von Fachleuten erlaubt sein, damit wir
keine Schweinerei schlucken.”
Tourismusboom à la Amsterdam?
Möglicherweise pilgern junge Leute also bald in Scharen nach Prag, um
dort ungestört ihre Joints zu rauchen oder andere Drogen zu
konsumieren. Denn in den Nachbarländern wie etwa Deutschland, der
Slowakei, Ungarn oder Polen sind die Bestimmungen viel restriktiver.
Im Prager Klub Ujezd sieht man dem erwartungsvoll entgegen. Denn in
der gemütlichen Klubatmospähre zeigt sich nur das freundliche Gesicht
des Drogenkonsums. Noch einmal Martin Kmoch: “Wir sind jetzt noch
besser als Amsterdam. Und so wird eine Menge neuer Kunden zu uns
kommen – aus West und Ost.”
Nachdem der Tourismus in Prag 2009 einen Tiefpunkt erreicht hat, ist
das eine ganz neue Perspektive.