Von Sebastian Pfeffer*
Die deutsche Drogenpolitik beruht auf einem pessimistischen Menschenbild. Der Staat schüchtert seine Bürger systematisch ein, desinformiert und drangsaliert sie, findet Sebastian Pfeffer und skizziert einen realitätsnäheren, liberaleren Regulierungsansatz.
Ich stelle mir vor: Auf dem Beifahrersitz liegt eine Tasche mit allen illegalen Drogen, die ich je genommen habe. Die Jahre haben sie gefüllt, auch ohne regelmäßigen Konsum. Damit gerate ich in eine Verkehrskontrolle. Polizisten verhaften mich, der Staatsanwalt tut seine Pflicht. Und ich frage mich: Warum?
Der deutsche Staat nimmt sich das Recht heraus, seinen Bürgern vorzuschreiben, was sie konsumieren dürfen und was nicht. Und wir nehmen das einfach so hin. Fast jede und jeder Deutsche raucht und/oder trinkt. Die Lust auf Rausch ist ihnen vertraut. Offiziell hat jede und jeder vierte mindestens eine Drogengeschichte parat, die sie erzählen, wenn es schon etwas später geworden ist und die Köpfe zusammenrücken. Trotzdem sagen fast alle „Ja“ zum Drogenverbot – oder schweigen ganz. Nochmal: warum?
Wir akzeptieren ein Verbot, aus dem die Verachtung spricht. Der Staat traut uns den Umgang mit Drogen nicht zu, er hat ein pessimistisches Bürgerbild. Demnach führt der Weg vom ersten Joint über die Pille unweigerlich an die Nadel, zum ökonomischen Produktivitätsverlust, auf die Straße, zum Verbrechen und in den Tod. Eine Einbahnstraße mit Sackgasse. Weil die Menschen zu schwach und verantwortungslos sind. Weshalb sie nicht frei sein dürfen.
Diese autoritäre Haltung hatten Herrscher früher gern. Dem Untertan wurde seine Freiheit stets mit dem Argument genommen, dass er nicht in der Lage sei, richtig damit umzugehen. Dann haben sich die Bürger das Recht erkämpft, selbst zu entscheiden. Doch in einigen Bereichen hat sich der alte Herrschaftsanspruch bis heute gehalten – vor allem in der Drogenpolitik. Hier gilt nicht „im Zweifel für die Freiheit“ (Willy Brandt), sondern: im Zweifel dagegen. Und der Staat zweifelt nicht nur an unserer Tauglichkeit, er ist sogar davon überzeugt, dass wir scheitern würden. Diese pessimistische Ideologie bildet die Basis seiner Drogenpolitik. Für ihre Durchsetzung ignoriert er rationale Argumente, desinformiert seine Bürger und kriminalisiert und stigmatisiert Drogen und ihre Konsumenten. Schon als Kinder lernen wir in der staatlichen Schule, dass Drogen ganz böse sind. Angst und Abschreckung bilden die Basis unserer Erziehung: Wer Drogen nimmt, scheide aus der zivilisierten Gesellschaft aus. Wo Drogen sind, sei alles krank, dreckig und duster. Der typische Konsument hält dir in der U-Bahn einen Pappbecher hin und trägt klebrige Kleidung auf narbiger Haut. Herzlich willkommen in der Hölle. Willst du da hin? Diese Propaganda wirkt. Trotz der rebellischen Phase, die wir in der Pubertät oft haben – und zu der meist auch ein paar Drogen gehören –, ist es von der Schulbank ein weiter Weg bis zu der Bereitschaft, gegen die Prohibition zu protestieren. Selbst rebellische Jugendliche streichen Drogen als Erwachsene offiziell aus ihrem Leben. Was rational verständlich ist, denn auf zynische Weise ist die staatliche Darstellung ja wahr: Das Verbot garantiert, dass Drogen nur in ganz bestimmten Umfeldern sichtbar werden. Was abschreckend wirkt. Wer möchte schon mit dem Bahnhofsviertel assoziiert werden? Je besser Menschen gesellschaftlich integriert sind und je besser sie mit Drogen umgehen können, desto penibler achten sie darauf, es heimlich zu tun. Man nutzt den Schutz der eigenen vier Wände oder von Clubs. Als Resultat prägt der Junkie das öffentliche Bild. Nur er ist willens, sich in aller Öffentlichkeit zuzudröhnen. Womit der Staat in seiner Darstellung scheinbar bestätigt wird. Tatsächlich ist krankhafter Drogenkonsum und ein damit verbundener sozialer Abstieg aber eher selten – und in erster Linie ein Symptom persönlicher Probleme, oder, eine Ebene höher, gesellschaftlicher Missstände. Die Politik käme deshalb in Erklärungsnot, wenn ganz „normale“ Menschen offen über ihren Konsum reden würden. Damit würde der Pessimismus ganz offen widerlegt. Der Fall des SPD-Bundestagsabgeordneten Michael Hartmann hätte die Gelegenheit für weitere Outings geboten. Hartmann nahm Crystal Meth, um seine Leistung zu steigern. Das ist vom gesundheitlichen Standpunkt aus betrachtet eine miese Idee. Aber der Mann hat offenbar funktioniert und sich bewusst dafür entschieden. Er war kein Junkie. Und er ist ganz sicher nicht allein. Weder im Bundestag, noch in Berlin, noch im Land. Doch genau die Ächtung, die Hartmann erfahren hat, lässt die Menschen schweigen. Auch deshalb ist über funktionierende Drogennutzer wenig bekannt. Nach wie vor werden die meisten Studien zu Drogen in Kliniken durchgeführt. Also mit Menschen, deren Konsum krankhaft geworden ist, sonst wären sie nicht dort. Der online durchgeführte Global Drug Survey befragt dagegen normale Nutzer und zeigt, wie viele Menschen regelmäßig Drogen konsumieren, ohne größere Probleme zu haben – vom „Kater“ mal abgesehen. Rund 45 Prozent der knapp 23.000 deutschen Teilnehmer haben 2013 Cannabis konsumiert, 22 Prozent MDMA, 17 Prozent Amphetamine und 13 Prozent Kokain. [1] Diese real existierende Drogenwelt hat wenig mit der vom Staat propagierten Hölle zu tun, denn es kann davon ausgegangen werden, dass keiner der Befragten auf einem Bahnhofsvorplatz lebt. Wäre die staatliche Sicht der Erzählung von Drogen wahr, käme vor lauter Junkies niemand mehr zu seinem Zug. Zweifelhafte Argumente Doch all das wird vom Staat ignoriert, die Politik hält an ihrer pessimistischen Ideologie eisern fest. Dabei werden für die Prohibition im Wesentlichen zwei Argumente vorgebracht: Gesundheit und Sicherheit. „Eine Legalisierung ist aus gesundheitlicher Sicht nicht zu verantworten. Die Freigabe wäre ein falsches Signal, denn vor allem für junge Menschen bestehen erhebliche Gesundheitsrisiken“, sagt beispielsweise die Drogenbeauftragte der Bundesregierung Marlen Mortler zum Cannabis-Konsum. [2] Wohlgemerkt über eine Droge, die deutlich harmloser als Alkohol ist. Über die „Gesundheitsrisiken“ von Kokain und Co. braucht man mit jemandem wie Mortler erst gar nicht zu reden. Dieser staatliche Wille zum Schutz klingt fürsorglich, ist aber ein Skandal. Zwar hat jeder in Deutschland das Recht auf körperliche Unversehrtheit – von einer entsprechenden Pflicht hat aber noch niemand gehört. Ständig gefährden Erwachsene im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte ihre Gesundheit. Sei es beim Sport, beim Sex, beim Essen oder Arbeiten. Nur für den Rausch dürfen sie es nicht. Wenn man bedenkt, was sich mit dieser Argumentation noch alles verbieten ließe: Wer Gesundheitsschutz bei Drogen fordert, könnte auch die Kondompflicht einführen [3], Fastfood verbieten und strikte Tempolimits für die Formel eins vorgeben. Um den freiheitlichen Schein dieser Politik zu wahren, wird ein zweites Argument angeführt: Drogen seien eine Gefahr für die allgemeine Sicherheit. Exemplarisch dafür lässt sich der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD lesen. Dort werden Drogen nur einmal erwähnt: „Rockerclubs bieten einen Deckmantel für vielfältige Formen der Schwerkriminalität, wie z. B. Menschenhandel und Drogengeschäfte“. [4] Drogendeals sind demnach ähnlich schlimm wie Menschenhandel. Es gibt noch eine Passage zur Abschiebung drogensüchtiger Immigranten im Vertrag. [5] Das war’s. Aber ist das auch wahr? Natürlich sind Drogen ein kriminelles Geschäft. Wie soll es auch anders sein, wenn sie verboten sind? An der Situation, die der Staat selbst mit der Prohibition kreiert, will er das kriminelle Wesen von Drogen beweisen und leitet daraus die Bedrohung für die allgemeine Sicherheit ab. Da wird die Logik mit der Brechstange behandelt. Tatsächlich würde das organisierte Verbrechen bei liberaler Gesetzgebung eine seiner wichtigsten Einnahmequellen verlieren. Gerade wegen des staatlichen Verbots prosperiert der Schwarzmarkt weiter. Und der weltweit geführte Drogenkrieg hat tausende Menschenleben gekostet und die Kartellbosse doch nur immer reicher gemacht. Ähnlich falsch ist die Darstellung, dass von Drogenkonsumenten eine erhöhte Gefahr ausginge. Selbst Crack- und Heroin-Junkies, die man in der Öffentlichkeit sieht, sind in der Regel friedliche Zeitgenossen. Noch niemand hat von Prügeleien auf Cannabis oder MDMA gehört. Am ehesten aggressiv macht noch Kokain – vor allem bei ohnehin aggressiven Menschen. Dagegen weiß jeder, der schon mal in einer Kneipe, auf Volksfesten oder in der Großraumdisko war, wie viel Gewalt der legale Alkohol auslösen kann. Im Vergleich dazu gefährden Drogenkonsumenten nur selten andere Menschen. Und Süchtige, die stehlen, um ihre Sucht zu finanzieren, sind in Wahrheit meist schwer krank und hilfebedürftig – nicht in erster Linie kriminell. Durch die Prohibition werden sie in ihrer Schattenwelt gehalten. Sie würden sich selbst einer Straftat bezichtigen, sollten sie ihre Sucht eingestehen. So ist es zum Diebstahl ein kleiner Schritt. Auch Kinder schützt das Verbot nicht. Ganz im Gegenteil: Der Schwarzmarkt kennt keinen Jugendschutz. Deshalb kommen Kinder und Jugendliche viel zu leicht an jede Form von Stoff. Es gibt also viele gute Argumente dafür, dass die aktuelle Drogenpolitik falsch ist. Nur ist die Bereitschaft dazu, daran etwas zu ändern, äußerst gering. Nur die Grünen fordern lautstark liberale Reformen, in den übrigen Parteien sind solche Stimmen die Ausnahmen. Diese Kohäsion bei der Prohibition lässt sich nur mit dem beschriebenen Pessimismus erklären. Wobei die Machtperspektive eine wichtige Rolle spielt. Der Untertan soll ohne Drogen wirtschaftlich produktiver sein. Ein geordnetes Leben führen. Freilich wissen auch der Staat und die ihn regierenden Parteien, dass es ganz ohne nicht geht. Der Mensch hat eine natürliche Lust auf Rausch. Deshalb ist ein bisschen erlaubt – wenn der Bürger sich regelmäßig mit Schnaps und Bier sediert, muss das ja nicht nur schlecht sein. Doch die Begründungen für Alkohol und Tabak sind genauso ideologisch wie die Verbote. Denn gerade kulturelle Prägung und Tradition sind etwas sehr Wandelbares – wenn die Menschen frei sind. Eine neue Drogenpolitik So betrachtet zeigt sich die Drogenpolitik als Rudiment, ein Überbleibsel aus autoritären Tagen. Wir sollten uns davon befreien. Wie sähe eine Politik aus, die den Bürger so sieht, wie er sein sollte: als aufgeklärten und entscheidungsfähigen Menschen – kurz: als Souverän? In solch einem Staat wären die meisten Drogen erlaubt. Ihre Abgabe wäre kontrolliert, womöglich staatlich lizensiert. Es würde viel Energie in Jugend-, Verbraucherschutz und Aufklärung gesteckt. Das Ziel wäre nicht, einfach alles zu deregulieren. Es ginge darum, dass der Staat das tut, wofür er da ist: die Bürger zu ermächtigen. Zum Beispiel, indem er sie wie bei anderen Dingen vor Betrügern schützt. Schlechter Stoff ist ein echtes Problem. Viele tödliche Unfälle gehen auf gepanschte Drogen zurück und sind damit indirekte Folge staatlicher Prohibition. Auch könnten manche Substanzen durchaus weiterhin verboten bleiben: Weil sie so gefährlich und unberechenbar sind, dass es unverantwortlich ist, sie als Genussmittel zu vertreiben. Das geschieht längst, zum Beispiel beim Methanol. „Drogen haben immer eine schöne und eine hässliche Seite.“ Erlaubt wären für mündige Erwachsene dagegen all jene Drogen, deren Wirkung und Nebenwirkung einigermaßen bekannt und kalkulierbar sind: mindestens Cannabis also, Kokain, Opiate, Amphetamine. Der Staat trüge durch die Garantie der Reinheit, aktive Forschung und Aufklärung dazu bei, dass die Risiken für seine Bürger ersichtlich sind. Und er warnt sie auch: Drogen haben immer eine schöne und eine hässliche Seite. Wer sie nimmt, geht ein gewisses Wagnis ein. Wahr ist auch: Es wird immer menschliche Tragödien im Zusammenhang mit Drogen geben. Weil der Mensch ein Wesen voller Mängel ist. Wo Menschen sind, sind Tragödien, überall: In der Liebe, am Steuer, beim Sport. Ich hatte Probleme mit Drogen und ich hatte Spaß. Ich habe im Rausch und danach einiges über mich gelernt. Heute traue ich mir zu, verantwortungsvoll mit Drogen umzugehen. Zumindest meistens. Zumindest so sehr wie mit Alkohol, am Steuer, auf der Skipiste, auf Reisen, im Stadion, bei der Bundestagswahl oder bei der Suche nach Sexualpartnern. Und genau wie in all diesen Bereichen will ich meine Freiheit nicht an einen autoritär handelnden Staat verlieren. Ich will einen Staat, der mir erlaubt, meine Entscheidung zu treffen – keinen, der Polizisten schickt, weil er mich für ein schwaches, verantwortungsloses und gefährliches Subjekt hält. Dieser Artikel ist zuerst in der Novo-Printausgabe (#118 – II/2014) erschienen. Kaufen Sie ein Einzelheft oder werden Sie Abonnent, um die Herausgabe eines wegweisenden Zeitschriftenprojekts zu sichern. *Sebastian Pfeffer ist seit 2012 Redakteur und Parlamentarischer Korrespondent beim Berliner Debatten-Magazin The European. Er hat in Mainz und Essex Politik und Publizistik studiert und u.a. für das ZDF und die Welt gearbeitet.
„Der Staat zweifelt nicht nur an unserer Tauglichkeit, er ist sogar davon überzeugt, dass wir scheitern würden“
Staatliche propagierte Drogenhölle
„Die Politik käme in Erklärungsnot, wenn ganz ‚normale‘ Menschen offen über ihren Drogenkonsum reden würden.“
„Gerade wegen des staatlichen Verbots prosperiert der Schwarzmarkt weiter.“