21. März 2015
Angriff auf die Cannabisszene
Während weltweit immer mehr Länder legale Cannabisregelungen erwägen und die US-Bundesstaaten, welche legalisiert haben, ausschließlich über positive Erfahrungen berichten, blieb die älteste Triebfeder Holland in einer widersprüchlichen Quasiregulierung stecken, die nun sinnloserweise drastisch verschärft werden soll.
Schon seit Jahren versucht die niederländische Regierung den Coffeeshops, die Cannabis verkaufen und Touristen in großer Zahl anziehen, einen Strich durch die Rechnung zu machen. Kaum hat man die Einführung des Weedpass – einer Registrierung für den Besuch von Coffeeshops – wieder fallengelassen (lediglich entlang der belgischen Grenze blieb die Regelung weiter in Kraft), nimmt die Regierung die Hanfszene aus einer anderen Richtung in die Zange. Nach dem Gesetz, das im November vom Senat verabschiedet wurde, drohen nicht nur den Zulieferern von Coffeeshops Gefängnisstrafen, sondern auch den Anbietern von Züchterbedarf, falls sie Großzüchter beliefern. Was aber führte zu einer solchen Kehrtwendung in dem Land, das seit Jahrzehnten berühmt für legales Marihuana ist und als Kifferparadies bekannt wurde? Um die neuen Forderungen der holländischen Drogenpolitik besser verstehen zu können, sollten wir auf den Beginn der Drogenreform zurückblicken.
Missliebige Grasregulierung
Greenhouse Coffeeshop in HollandDie holländische Grasregulierung wurde nicht, wie man allgemein annimmt, von liberalen Prinzipien geleitet, sondern war immer praxisorientiert. Der zentrale Gedanke des 1976 in Kraft getretenen Ansatzes, der auf der Welt einzigartig war, bestand darin, den Markt für das kaum risikobehaftete Cannabis von dem der gefährlicheren Drogen zu trennen, deren Gebrauch in der ersten Hälfte der 1970er Jahre überhandnahm. In dieser Absicht entkriminalisierte man den Besitz zum Eigengebrauch und den Konsum für Erwachsene. Die wichtigste Neuerung war jedoch, dass die Polizei den Handel von Cannabis in geringen Mengen tolerierte. Coffeeshops entstanden, die unter strengen Auflagen betrieben werden konnten. Täglich durften sie 500 Gramm Cannabis auf Lager haben, das sie ausschließlich an Erwachsene verkaufen durften, pro Person anfangs bis zu 30, später bis zu 5 Gramm. In den Cafés durften keine anderen Drogen verkauft werden – auch kein Alkohol –, außerdem durften sie keine Reklame für ihre Waren machen. Für den Eigenanbau von Cannabis erlaubte das Gesetz maximal fünf Pflanzen.
Dies zeichnet ein sehr idyllisches Bild von den holländischen Zuständen, es gibt nur einen Haken: Der Handel von mehr als 5 Gramm Cannabis ist per Gesetz streng verboten, damit kommen die Coffeeshops jedoch nicht auf legalem Wege an Marihuana. Dieser Widerspruch führte zum sogenannten „Hintertür“-Phänomen: Coffeeshops können nur insgeheim an Cannabis kommen, das sie dann legal verkaufen. Klar, dass die Züchter und Cafébetreiber seit Jahren auf eine Normalisierung der Gesetze warten, die den Weg des Cannabis vom Samen bis zum Konsumenten auf realistische Weise regeln. Stattdessen aber machten sich die Behörden seit Ende der 70er Jahre über die Coffeeshops her, mit dem Ergebnis, dass die Zahl der Coffeeshops zwischen 1997 und 2007 um 40% (von 1179 auf 702) sank. Seit 2008 stand die Schließung von Coffeeshops bzw. Versuche, ihren Betrieb auf verschiedenste Weise unmöglich zu machen, permanent auf der Tagesordnung. Den letzten Aufschrei der Empörung verursachte das Gesetz zur Einführung des Wietpas (Weedpass), der ausschließlich registrierten Ortsansässigen den Zutritt zu Coffeeshops gestattet und damit den Besuch ausländischer „Drogentouristen“ verhindert hätte. Wer jedoch gehofft hatte, dass die niederländischen Politiker angesichts der positiven Erfahrungen mit der Legalisierung in Colorado und Washington die heimische Regelung in eine ähnliche Richtung vorwärtstreiben würden, wurde enttäuscht. Stattdessen kommt der Angriff nun aus einer anderen Richtung und außer den Hanfcafés werden auch die Growshops unter Druck gesetzt: Man spielt mit einer Neuauflage des früheren Gedankens, dass Sorten mit einem THC-Gehalt über 15% als harte Drogen gelten.
Justizminister Ivo Opstelten, der auch das Wietpas-Gesetz unterzeichnet hatte, tat sich im Herbst mit einer neuen Idee hervor, dem Growshop-Gesetz, das er dem Senat vorlegte. Es drohen nicht nur den Großanbauern drei Jahre Freiheitsentzug, sondern auch den Händlern von zur Zucht geeigneter Erde und elektronischen Einrichtungen (beispielsweise Hochleistungslampen), sollte sich herausstellen, dass sie Züchter einer nicht geringen Menge Cannabis beliefert haben. Das Gesetz, das im Land des Coffeeshopsystems reichlich absurd klingt, billigte der Senat mit 39 zu 31 Stimmen und es ist zu erwarten, dass es am 1. März 2015 in Kraft tritt. Die Juristen gaben bereits zu bedenken, dass die neue Bestimmung einen unverhältnismäßig großen Teil der Bevölkerung mit Gefängnisstrafen bedroht. Derrick Bergman, Sprecher von VOC Nederland, einem Verband, der gegen das Cannabisverbot kämpft, gab zu bedenken: „Das neue Gesetz (stellt) so viele Menschen und Aktivitäten unter Strafe, als ginge es um einen Angriff von Terroristen und nicht um den Anbau einer Pflanze. Das Justizministerium trägt damit dazu bei, dass unsere Cannabispolitik, die aktuell schon versagt hat, noch absurder und widersprüchlicher wird.“ Wird der nächste Schritt das Verbot des Cannabissamenhandels sein? Nun, dafür gibt es noch keine Anzeichen, doch die Politik will sich offensichtlich in den Prozess der Veredelung einmischen.
15%
Nach einer Studie erhöhte sich zwischen 1998 und 2005 der THC-Gehalt der in holländischen Coffeeshops verkauften Cannabissorten von 9 auf 18%. Die Verdopplung des Wirkstoffs könnte auf den ersten Blick Anlass zur Besorgnis geben, man muss aber wissen, dass die Cannabiswirkung nicht nur von der THC-Menge, sondern auch vom Verhältnis zum CBD (Cannabidiol) und dem Vorhandensein von Terpenen abhängt. Auch der Vergleich, es sei, als ob man in den Cafés nunmehr statt Bier Schnaps verkaufen würde, hinkt gewaltig, denn die entsprechend informierten Konsumenten passen sich leicht an und konsumieren von den potenteren Sorten weniger und schonen dabei auch ihre Lungen. Dennoch brachte man nach 2011 die Idee wieder aufs Tapet, dass man den THC-Gehalt der in Coffeeshops erhältlichen Cannabissorten auf maximal 15% begrenzen müsse und Sorten mit höherem THC-Gehalt – neben Heroin und Kokain – als harte Drogen einzustufen seien. Fachleute halten diesen Vorschlag nicht nur für unsinnig, sondern auch für undurchführbar. Prof. Dr. Robert Verpoorte von der Universität Leiden nennt die angegebenen Grenzwerte für vollkommen zufällig gewählt. Es entbehre jeder Grundlage, dass bei Überschreitung die Wirkung mit der einer „harten Droge“ gleichzusetzen wäre. Wie oben erwähnt, wird die Wirkung durch weitere Komponenten bestimmt, die auch die Absorption des THC beeinflussen. Der Professor erinnerte ebenfalls daran, dass Cannabis überhaupt kein THC enthält, sondern nur dessen Ausgangsstoff, und dass diese Verbindung erst durch den Einfluss von Hitze zustandekommt. Dr. Veerpoorte ist der Meinung, man könne das Cannabis, solange es illegal ist, nicht wirklich kontrollieren, und somit sei auch das 15-%-Limit sinnlos. Die vollkommene Regulierung des Cannabisanbaus hätte auch medizinisch gesehen mehr Nutzen, da in das verkaufte Produkt keine Schadstoffe gelangten und es frei von Chemikalien wäre. Die Konsument/innen erhielten es dann mit den entsprechenden Informationen über die Inhaltsstoffe – wie auch alkoholische Getränke, bei denen der Käufer nach eigenem Gutdünken eine Wahl trifft.
Die drastischen Verschärfungen machten auch vor dem High Times Cannabis Cup nicht Halt, der dieses Jahr zum siebenundzwanzigsten Mal ausgetragen wurde. Nach der Razzia im Jahre 2011 ging die Polizei diesmal weiter und jagte die Veranstalter so ins Bockshorn, dass sie am ersten Tag des Cannabis Cups die Tore gar nicht öffneten. Der wartenden Menge teilten sie mit, dass sie nicht eingelassen würden, weil zu befürchten sei, dass die Polizei sie festnimmt. Vom zweiten Tag an traten auf dem Event, das nur mit halber Kraft lief, bisher nie angewandte Regeln in Kraft. Zu der Veranstaltung, die für das Probieren und Bewerten von Cannabissorten bekannt ist, wurde niemand mit mehr als 5 Gramm Cannabis eingelassen, Extrakte wurden absolut nicht toleriert. Die Veranstalter durften außerdem den Besucher/innen kein Cannabis anbieten, daher blieb nur der Konsum von selbst mitgebrachtem Marihuana. Das Probieren – wofür viele Gäste gern ordentlich bezahlt hätten – wurde praktisch unmöglich gemacht. Verständlich, dass in diesem immer feindlicheren Klima in vielen Akteur/innen, die in Treu und Glauben im Geist der Gesetze ihre Cannabisaktivitäten abwickeln wollen, der Selbsterhaltungstrieb erwacht und sie sich gemeinsam die Köpfe zerbrechen, wie sie der Angriffswelle widerstehen können. Und hier ist nicht nur von Züchtern und Caféhausbesitzern die Rede, sondern auch von den örtlichen Verwaltungen! Vierundfünfzig Bürgermeister/innen haben den Aufruf mit dem zweideutigen Namen „Joint Regulation“ unterzeichnet, in dem sie realistische Regeln für die Coffeeshops fordern, besonders im Hinblick auf das Problem der Hintertür. Sie haben genug davon, dass die Regierung so tut, als fiele jeden Tag Cannabis vom Himmel in die Coffeeshops. Sie erwarten von den Gesetzgebern eine Klärung der Situation.
Manche gehen in eine andere Richtung: Unter den Alternativen kursiert auch die Vorstellung privater lizenzierter Züchter auf Cannabisfarmen, die von der Gemeinde betrieben werden. Im September 2014 nahm der erste holländische Cannabis Social Club, Tree of Life in Amsterdam, nach belgischem Muster unter Mitarbeit von Joep Oomen, dem Leiter von ENCOD, seinen Betrieb auf. Oomen selbst schrieb Folgendes über die Eröffnung des neuen Cannabisclubs: „Der im September eröffnete CSC bedeutete für die Jurisdiktion eine gewaltige Herausforderung, und nun stehen sie vor folgendem Dilemma: Das Aufbegehren gegen einen Club mit fünfundzwanzig Mitgliedern wäre lächerlich in Amsterdam, wo Hunderte von Coffeeshops existieren, die ihr Cannabis vom Schwarzmarkt beschaffen. Die Tolerierung des Betriebs würde aber zu einem Konflikt mit dem Justizminister Ivo Opstelten führen, der gegen jede Aufweichung der strengen Gesetze gegen den Cannabisanbau ist.“
Die Cannabis Clubs könnten auch als Hintertür für die örtlichen Verwaltungen fungieren, durch welche sie mit neuen Formen der Regulierung experimentieren könnten, gleichgültig, was der Justizminister wünscht. Außerdem sind schon weitere Cannabis Clubs in Eindhoven, Utrecht und Groningen in Gründung und es ist gut möglich, dass die Veränderungen nicht von den Politikern, sondern den Aktivisten von unten ausgehen werden. Damit ginge auch der Wunsch der Bevölkerung in Erfüllung, denn nach einer Umfrage im Dezember 2013 unterstützt die entscheidende Mehrheit der Holländer eine liberale Drogenpolitik und 65% von ihnen würden gern eine Regelung nach uruguayischem Vorbild sehen. Es scheint, dass für die Bevölkerung sonnenklar ist, dass die augenblickliche Lösung – trotz ihrer Fehler – dem Verbot vorzuziehen ist. Dass sie recht haben, belegen viele Untersuchungen. Die Trennung von weichen und harten Drogen funktioniert beispielsweise zweifelsfrei. Eine Untersuchung weist daraufhin, dass insgesamt nur 14% der holländischen Kiffer neben Cannabis auch andere Drogen von ihrer Quelle angeboten bekommen. In Schweden mit seiner strengen Regulierung, die alle Drogen über einen Kamm schert, liegt der Prozentsatz bei 52. Ein weiterer Beleg dafür, dass die holländische Regelung den Drogenkonsum nicht anregt, ist die Tatsache, dass der Cannabiskonsum nach der Eröffnung der Coffeeshops in den 70er Jahren nicht sprunghaft angestiegen ist, und auch der momentane Drogenkonsum ähnlich hoch oder sogar niedriger liegt als in den Nachbarländern. Die Coffeeshops erwirtschaften jährlich etwa 400 Millionen Euro, die ansonsten auf die Konten von Kriminellen wandern würden. Stellen wir uns einmal vor, wie groß die Summe wäre, wenn die Züchter endlich eine Genehmigung für die Belieferung von Coffeeshops erhielten und der Staat auch von ihren Einnahmen einen Anteil bekäme! Um eine Weisheit von Tommy Chong zu zitieren: „Der Deckel der Bong ist gelüftet und man kann den Rauch nicht mehr zurückholen.“