ENCOD BULLETIN ZUR DROGENPOLITIK IN EUROPA
OKTOBER 2015
“INSIDE THE BOX” DENKEN
Vom 25. bis 27. September fand die ENCOD Hauptversammlung im Proeftuin „De Luwte“ in Amsterdam, den Niederlanden, statt. Die Versammlung wurde von 36 Teilnehmern aus 11 Ländern besucht, die gewillt sind, Drogenpolitik zu machen, welche die Rechte der Konsumenten und kleinen Produzenten achtet und der Gesellschaft als ganzes dient.
Die Hauptfrage auf der Versammlung dieses Jahr war, ob ENCOD noch immer einen Wert habe für dieses Ziel, und wenn ja, wie wir mehr Menschen davon überzeugen können. Während die öffentliche Meinung in Europa sich langsam in die Richtung einer Akzeptanz von Drogenkonsum bewegt und die Regierungen immer öfter pragmatische Lösungen einführen, sind immer mehr Organisationen, professionelle Gesundheitsarbeiter sowie akademische Beobachter entstanden, welche die sonst für ENCOD übliche Rolle spielen. Bei der Cannabis Social Club-Bewegung, bei deren Verbreitung in den Länder Europas wir geholfen haben, wurde unsere Rolle eher klein: heute interpretieren mehr Personen den Begriff CSC auf ihre eigene Weise und ignorieren die Werte, die eine Mitgliedschaft in einer europäischen Plattform mit sich bringt und gemeinsame Interessen verteidigt.
Tatsächlich gibt es drei Herausforderungen: Wie kann man ENCOD noch unter den vielen anderen Organisationen, die auch sagen, dass sie für die Regulierung oder für Schadensminderung Lobby betreiben auf einer internationalen Ebene unterscheiden? Wie kann man die Attraktivität einer ENCOD-Mitgliedschaft sowohl für den individuellen Bürger als auch für Gruppen von Aktivisten in der Drogenpolitik verbessern? Und wie können wir weiterhin nicht-kommerzielle Modelle für die Verteilung von Cannabis verbreiten, jetzt, wo das CSC-Konzept so verwundbar geworden ist durch die Übernahme durch Kommerzinteressen?
Um die letzte Frage zu beantworten, hatten wir einen gesamten Tag für die Situation der Cannabis Social Clubs in Europa ausgemacht. Wir erfuhren, dass in Österreich die CSC-Idee nur noch ein Name für alle möglichen privaten Initiativen ist, die nicht offiziell registriert sind oder durch Mitglieder kontrolliert werden. Auch in Frankreich, Deutschland, Großbritannien und Italien existieren viele unterschiedliche Interpretationen: einige Personen arbeiten im Untergrund, befolgen alle Prinzipien, aber agieren nicht öffentlich [im Sinne von Transparenz, Anm. d. Übs.], während andere das Konzept als Kampagnenwerkzeug präsentieren, um andere Aktivisten und die Presse zu erreichen. Nur wenige von ihnen sind offiziell registriert und noch weniger davon bauen tatsächlich Cannabis an. Die einzigen Länder, in denen CSCs nach den ENCOD Verhaltenscodex arbeiten, sind Belgien, Slowenien, Spanien und die Niederlande.
In den Niederlanden wurde dem CSC „Tree of Life“ mit Skepsis begegnet, aber dank einer positiven Einstellung der lokalen Behören wurden dem Club bisher keine Probleme bereitet. Die aktuelle Strategie liegt darin, eine Lizenz für den Anbau der Mitglieder im Club zu bekommen, zusammen mit einer Studie, wie eine regulierte Cannabisproduktion sich auf die Konsumenten auswirkt. In Slowenien gibt es zwei mehr oder weniger mit der Erlaubnis der Behörden operierende CSCs. Beide Clubs befolgen den Verhaltenscodex, sind aber bislang nicht registriert. In Belgien wird bald die Eröffnung eines dritten Clubs erwartet, was dazu führen kann, dass ein nationaler Dachverband gegründet werden kann, um mehr Gewicht in der politischen Diskussion zu erhalten. Währenddessen ist in Spanien das Phänomen ausserhalb jeder Kontrolle. Spanische ENCOD-Mitglieder schätzen, dass nur 20% der Gruppen, die sich Cannabis Social Club nennen, auch korrekt arbeiten. Der Rest sei nur zu einer Fassade für kommerzielle Operationen verkommen.
Wir schlossen daraus, dass wir die Vorstellung von ENCOD als Europäischer Agentur für die Zertifizierung und Überwachung von Cannabis Social Clubs besser begraben sollten. Es ist dennoch erfreulich, dass so viele Leute das Konzept aufgenommen haben und sich entsprechend verhalten und damit einen Schritt weiter in Richtung einer ordentlichen gesetzlichen Regulierung in ihrem Land gekommen sind. Ohne denen einen Vorwurf zu machen, die sich nicht an den ursprünglichen ENCOD-Verhaltenskodex eines nicht-gewerblichen CSC halten, wollen wir dieses Modell weiterhin voranbringen, ebenso wie die noch bessere Möglichkeit der Cannabis-Regulierung: das Recht auf Eigenanbau (Freedom to Farm) – was bedeutet, dass jede/r Erwachsene/r zuhause Pflanzen für den Eigenbedarf anbauen darf.
Homegrower und MItglieder von CSCs, die ohne rechtliche Absicherung in ihrem Land aktiv sind, könnten davon profitieren, dass eine Koordination auf europäischer Ebene das Konzept legitimiert***. Hinsichtlich europäischer Gesetze und Abkommen kann Encod diese Menschen auf verschiedenen Weise unterstützen, etwa durch die Verbreitung von Informationen zum Anbau und zur Beschaffung der Materialien für einen sicheren Anbau zuhause, Kontakte zu anderen Cannabis-Aktivisten, die als Mentor fungieren möchten und eine solche Initiative begleiten, und die Empfehlungen für einen verantwortungsvollen Umgang geben können. Encod bietet Unterstützung an, wenn ein Mitglied wegen Anbau zuhause oder wegen des Aufbaus eines CSC gemäß Encod-Verhaltenskodex strafrechtliche Probleme bekommt, in Form von politischer und moralischer Unterstützung für die größtmögliche Eindämmung von Konsequenzen (z.B. hohe Anwaltskosten).
In den kommenden Monaten wollen wir diese Kampagne anlaufen lassen, die sowohl europäische Bürgerinitiativen bei der Arbeit für eine Änderung der Prohibitionspolitik unterstützt, als auch eine Alternative zum illegalen Markt darstellt und mehr Menschen davon überzeugen könnte, Mitglied von Encod zu werden – das ganze unter dem Titel „Think Inside the Box“. Die Webseite der EU-CSCs dient als Plattform für diese Kampagne.
Hinsichtlich der Erkennbarkeit auf der internationalen Ebene sehen viele Mitglieder, dass die Rolle von ENCOD innerhalb offizieller Dialoge der EU oder Vereinten Nationen begrenzt ist. Auf der einen Seite sind diese Dialoge von Oben gelenkt und erfüllen nicht die grundlegenden Kriterien eines Austauschs von Meinungen zwischen den Regierungen und der Zivilgesellschaft. Auf der anderen Seite wurden diverse Organisationen in den letzten 10 Jahren gegründet, die diese Rolle bei diesen Dialogveranstaltungen einnehmen sollen. Sie operieren oft mit viel mehr Resourcen und besseren Konditionen, als wir es machen.
Das bedeutet nicht, dass Encod nichts zu der öffentlichen Debatte der internationalen Drogenpolitik beizutragen hätte. Wir werden weiterhin zeigen, wo Bürger am meisten betroffen und besorgt sind über die Drogenpolitik: Auf der Straße und mit einer Botschaft: Dass der Krieg gegen die Drogen nicht auf einem Versehen basiert, sondern auf der Absicht der Regierungen, ihre Interessen zu wahren. Es ist auch eine Botschaft der Hoffnung: dass eines Tages ein rechtliches Rahmenwerk zu Drogen angenommen wird, welches die Prinzipien der Transparenz, Verantwortung, des fairen Handels, Umweltschutz und öffentlicher Gesundheit sicher stellt.
Die erste Aktion, die wir für dieses Feld vorsehen, ist ein Konferenzzentrum vor dem Gebäude der Vereinten Nationen in New York während der Spezialsitzung zu Drogen vom 19. bis 21. April 2016, auch „UNGASS on Drugs“ genannt. Zusammen mit Aktivisten aus Nord- und Südamerika werden wir auf die Deligierten der UNGASS zugehen, ebenso wie auf die Presse und allen, die es hören wollen, und ihnen mitteilen, dass die Vereinten Nationen ihre Abmachungen auf den Menschen- und Gesundheitsrechten fußen lassen solle – aber nicht auf Drogen.
Während dieser drei Tage planen wir ein Programm mit Sprechern aus der ganzen Welt, um die Auswirkungen der aktuellen Politik anzuklagen und die Perspektive einer globalen Änderung der Politik vorzustellen. Am 20.4.2016 findet ebenfalls die traditionelle 420-Demonstration in New York statt. [420 ist in den USA ein Codewort für Cannabis, insbesondere zum Rausch genutzter Blütenstände, Anmerkung d. Übersetzung]
Um im nächsten Jahr in New York eine angemessene Repräsentation der europäischen Zivilgesellschaft zu sichern, werden wir eine dringende Fundraising-Kampagne direkt an unsere (ehemaligen) Mitglieder senden und natürlich an jeden Bürger, der auch der Meinung ist, dass die Stimmlosen eine Stimme bei dem UNGASS-Treffen haben sollen. Idealerweise sollte der Betrag von 50.000 Euro vor Ende des Jahres zusammenkommen. Insbesondere da wir üblicherweise nicht solche dringenden Anfragen machen, zählen wir auf die Hilfe aller, die dieses Bulletin lesen.
Auf der Hauptversammlung wurde auch ein neuer Vorstand, bei ENCOD „Steering Committee“ oder „SC“ genannt, gewählt: Elina Hanninen aus Finnland und Derrick Bergman aus den Niederlanden traten aus dem Vorstand zurück, während Enrico Fletzer (Italien), Janko Belin (Slowenien) and Joep Oomen (Belgien) ihre Arbeit in der Organisation fortführen. Neu dazugewählt wurden Maja Kohek (Slowenien) und Steffen Geyer (Deutschland).
Man könnte nicht behaupten, dass wir einen besseren Abschluss für die Hauptversammlung gehabt haben könnten, als die Sonntag Nacht, als ein roter Mond sich über Amsterdam erhebte. Diese „Blutmonde“ sind ein Naturphänomen, die nur alle paar Jahre auftreten – und in der Geschichte als Zeichen für große Änderungen gesehen wurden.
Text: Joep Oomen
Photos: Gonzomedia
NEUES AUS DEM SEKRETARIAT
ENCOD wird an der Cultiva Hanffachmesse in Wien vom 2. bis 4. Oktober teilnehmen. Sprecht uns an!