9.10.2015
Von Hans Cousto
Zum vierten Mal wurden 2014 in Dutzenden von europäischen Städten Abwasserproben auf Spuren von Drogen analysiert. Aufgrund der im Abwasser gefundenen Stoffwechselprodukte von Medikamenten und anderen psychotrop wirkenden Substanzen lassen sich Rückschlüsse auf konsumierte Mengen schließen. Zur Bewertung der Analysen wird vom 11. bis 15. Oktober 2015 in Ascona in der Schweiz die 2. Internationale Konferenz zur auf Abwasser basierten Drogenepiodemologie (Second Transdisciplinary Conference Testing the Waters 2015) stattfinden.
Im Vorfeld dieser Konferenz haben diverse Zeitungen in der Schweiz die Ergebnisse der Wasserproben in diversen Städten des Landes veröffentlicht. So berichtete der Tagesanzeiger am 6. Oktober 2015 unter dem Titel “Neuenburg ist die Hauptstadt der Crystal-Meth-Süchtigen“, dass “die Schweizer jährlich Kokain im Wert von rund 650 Millionen Franken konsumieren. Forscher des Kriminalwissenschaftlichen Instituts der Universität Lausanne haben im Abwasser von Schweizer Städten nach Spuren von Benzoylecgonin, dem Hauptbestandteil des weissen Rauschmittels, gesucht. Und sie wurden fündig: Hochgerechnet werden laut der Studie in der Schweiz jeden Tag 22 Kilogramm Kokain konsumiert.”
Die Zeitung 20 Minuten publizierte am gleichen Tag unter dem Titel “Schweizer konsumieren täglich über 22 Kilo Kokain” wenigstens beim ersten Bild folgende Einschränkung: “8,8 Kilogramm reines Kokain werden in den 13 größten Städten der Schweiz konsumiert – pro Tag. Dies haben Abwasser-Analysen ergeben, die die Uni Lausanne vorgenommen hat. Berücksichtigt man, dass der Reinheitsgehalt kaum über 40 Prozent liegt, dürften es gar 22 Kilogramm pro Tag sein.”
Gemäß Analysen des Drogeninformationszentrums (DIZ) in Zürich bei 550 analysierten Kokainproben im Jahr 2014 wurde ein Mittelwert des Kokaingehaltes von 66,7% ermittelt, der Median lag sogar über 70%, das heißt, mehr als die Hälfte der Proben enthielten mehr als 70% reines Kokain-Hydrochlorid (Kokain-HCL). Auf Basis des Mittelwertes, der vom DIZ für Kokainproben in der Schweiz ermittelt wurde, gelangt man bei korrekter Rechnung auf 13,2 Kilogramm Kokaingemisch (Schwarzmarktqualität) pro Tag. Das entspricht einem Jahresverbrauch von 4,8 Tonnen Kokaingemisch, das im Kleinhandel bei einem Preis von 80 Franken (ca. 72 Euro) einem Wert von 385 Millionen Franken (ca. 345 Millionen Euro) ergibt. Die Rechnung zeigt auch, dass, wenn es um Drogen wie Kokain geht, in den Medien nicht selten übertrieben wird und zur Steigerung der Dramaturgie unrealistisch hohe Werte bei den konsumierten Mengen publiziert werden.
Hochburgen der Koksnasen
Unter dem Titel “Wastewater analysis and drugs – a European multi-city study” hat die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht in Lissabon Ergebnisse von Abwasseruntersuchungen aus Dutzenden von europäischen Städten zusammengestellt. Gemäß diesen Untersuchungen leben die meisten Koksnasen in London sowie in Städten in Berlgien, Holland, Spanien und der Schweiz. Die Abwasserproben wurden sowohl an Werktagen als auch an Wochenenden untersucht. Dabei zeigt es sich, wie man der Meldung des Wasserforschungsinstituts EAWAG “Abwasser gibt Aufschluss über Drogenkonsum” sowie dem ausführlichen Bericht “Spatial differences and temporal changes in illicit drug use in Europe quantified by wastewater analysis” entnehmen kann, dass beispielsweise Ecstasy (MDMA) eine typische Wochenenddroge ist, Kokain hingegen genauso an Werktagen massiv konsumiert wird, in einigen Städten manchmal sogar häufiger als an Wochenenden.
Abbildung 1 zeigt die Rangfolge der Städte sortiert nach dem höchsten Kokainverbrauch an Werktagen für das Jahr 2014. Der angegebene Wert in der senkrechten Skala zeigt den gemessenen Benzoylecgoninwert in Relation zu 1000 Einwohner im Einzugsgebiet der entsprechenden Kläranlage. Da die Abwässer von Antwerpen in zwei verschiedenen Kläranlagen aufbereitet werden (Antwerpen Zuid und Antwerpen Deurne) sind für diese Stadt jeweils zwei Werte angegeben. Die blauen Säulen geben den Wert für Werktage an, die roten für Wochenendtage. Sind die Werte an Wochenendtage niedriger als an Werktagen, sind diese in gelblicher Farbe wiedergegeben.
Abbildung 2 zeigt die Rangfolge der Städte sortiert nach dem höchsten Kokainverbrauch an Wochenendtagen für das Jahr 2014. An Wochenenden wird in Amsterdam mehr gekoks als in London, an Werktagen ist es umgekehrt. Die Plätze drei, vier und fünf belegen sowohl an Werk- wie auch an Wochenendtagen die Städte Antwerpen, Zürich und Barcelona.
Abbildung 3 zeigt die Relation des Kokainverbrauchs an Wochenendtagen im Vergleich zu Werktagen in Prozentwerten diverser europäischer Städte für das Jahr 2014. Ein hoher Wert ist ein Indiz dafür, dass es in den entsprechenden Städten viele Angebote zum Feiern gibt. Doch, wie in Abbildung 5 weiter unten zu sehen ist, schwanken diese Werte in einigen Städten von Jahr zu Jahr sehr stark.
Abbildung 4 zeigt die durchschnittlichen Werte für die Städte Zürich, Basel, Genf, Bern und St. Gallen in den Jahren 2012 bis 2014. In Bern hat der Konsum von Kokain im Jahr 2013 im Vergleich zum Vorjahr minimal abgenommen, in den anderen Städten hat er zugenommen. Im Jahr 2014 hat der Konsum in den Städten Basel, Genf und Bern zugenommen, in Zürich und St. Gallen hat er hingegen abgenommen.
In Basel betrug die Zunahme von 2013 auf 2014 zwar 3,9%, dennoch wurden mit großer Wahrscheinlichkeit weniger Linien mit Kokain geschnupft, da der Reinheitsgrad von Schwarzmarktkokain im gleichen Zeitraum um 10,2% gestiegen ist, von 60,5% auf 66,7%. Der Reinheitsgrad von Kokain auf dem Schwarzmarkt liegt in der schweiz höher als im europäischen Durchschnitt.
Abbildung 5 zeigt die Veränderung der Relation von Wochenend- und Werktagskonsum in ausgewählten Städten mit besonders hohen Schwankungen in den Jahren 2012 bis 2014. In Genf wurde beispielsweise im Jahr 2012 an Wochenenden weniger Konsumiert (-18,3%) als an Werktagen, ein Jahr später hingegen deutlich mehr (+37,6%) als an Werktagen. Besonders stark war der gemessene Unterschied in Utrecht. Im Jahr 2013 wurden dort an Wochenenden 72,2% mehr konsumiert als an Werktagen, ein Jahr später hingegen deutlich weniger (-14,6%). Da sich solche extreme Schwankungen kaum logisch erklären lassen, sind die aus den Messungen ermittelten Daten mit Vorsicht zu genießen. Generell geben sie Indizien für die Mengen der untersuchten Drogen, jedoch wohl kaum verlässliche absolute Werte.
Vergl. hierzu weitere Artikel in diesem Blog zum Thema Kokain