Michael Kleim: Theologe und Bürgerrechtler
Auf Hanfparade, 11.8.2012
Immer wieder werde ich gefragt, weshalb ich mich ausgerechnet in der
Drogenpolitik engagiere. Drogenpolitik betreffe ja doch nur eine Minderheit, sei
bloß eine Fußnote, ein Nebensatz in der großen Politik und Wahlen könne man mit
diesem Thema auch nicht gewinnen.
Für mich jedoch bewegt sich Drogenpolitik im Kern unseres demokratischen
Selbstverständnisses. Es geht um Grundfragen und um Grundwerte. Es geht darum,
in welcher Weise wir mit einem gesellschaftlichen, sozialen und kulturellen
Konfliktbereich umgehen.
Mit einer Drogenpolitik, die auf ideologischen Vorurteilen, auf Repression und
Strafverfolgung beruht, mit solch einer Politik sägen wir am demokratischen Ast,
auf dem wir sitzen. Global dient der Drogenkrieg dazu, systematisch
Menschenrechtsverletzungen zu legitimieren.
Laut Amnesty International wurden im Iran allein im Jahr 2011 488 Menschen wegen
Drogendelikten hingerichtet. “Die Todesurteile werden in unfairen Verfahren
gefällt, Geständnisse mit Folter erpresst”, erklärt dazu Amnesty International.
Die Menschenrechts- organisation kritisiert westliche Staaten, die den Iran bei
der Bekämpfung des illegalen Drogenhandels unterstützen.
Weitere Länder, in denen regelmäßig Menschen wegen Drogenbesitzes exekutieren
werden, sind u.a. China, Saudiarabien, Vietnam.
Extralegale Hinrichtungen großen Ausmaßes sind aus Thailand und Mexiko bekannt.
Der Zustand in zahllosen „Drogenkliniken“ gleicht eher dem von
Strafarbeitslagern. Folter, Entwürdigung und Ausbeutung sind an der
Tagesordnung. In Peru starben Anfang des Jahres 29 Menschen in einer sog.
Drogeneinrichtung. Als ein Feuer ausbrach, hatten sie keine Chance. Sie waren
eingeschlossen und niemand eilte ihnen zur Hilfe.
Doch drakonische Strafvorhaben gibt es auch in unserer europäischen
Nachbarschaft: In Ungarn plant die rechtsnationalistische Regierung eine
drastische Verschärfung des Strafrechtes. Der Konsum und der “Handel” auch mit
leichten Drogen und in geringsten Mengen soll künftig mit heftigen Strafen
geahndet werden. Wird man beim Rauchen eines Joints erwischt, soll dafür Haft
von 2 bis 8 Jahren Gefängnis verhängt werden.
In Deutschland gibt es in Zusammenhang mit einer angeblichen Drogenbekämpfung
immer wieder Meldungen über Polizeiübergriffe und Polizeiwillkür. Die Zahl der
Telefonüberwachungen steigt kontinuierlich. Und der Brechmitteleinsatz wurde
erst auf internationalen Druck eingestellt.
Zahlreichen kranken Menschen wird die Medizin verwehrt, die ihnen helfen könnte.
Durch die repressive Drogenpolitik werden Menschenwürde und Menschenrechte im
großen Stil bedroht. Somit kann es sich hierbei nicht um eine Fußnote oder
Randnotiz handeln. Es geht um grundlegende Entscheidungen und Weichenstellungen,
die letztlich alle betreffen.
Keine Fußnote! Kein Nebensatz! Menschenrechte gehören in die Drogenpolitik. Wir
müssen endlich auf den grünen Zweig kommen.
Um überhaupt auf die Basis einer an Demokratie und Menschenrechten orientierten
Drogenpolitik zu kommen, sehe ich fünf grundlegende Schritte:
1. Der Besitz jeder Art von Drogen zum Eigengebrauch darf nicht länger
strafrechtlich verfolgt werden. Die Kriminalisierung der Gebraucher war
politisch, juristisch und menschlich ein grundlegend falscher Schritt.
2. Angebote zur Drogenhilfe brauchen Rechtssicherheit. Auch hier ist jede
Kriminalisierung umgehend zu beenden. Dazu gehört unter anderem die Möglichkeit,
geschützte Drogengebrauchsräume mit geschultem Personal einzurichten,
Drugchecking – also eine Qualitätsuntersuchung bei illegalisierten Drogen
durchzuführen und im Sinne von Safe Use sachlich über psychoaktive Substanzen
aufzuklären.
3. Die Medizinische Nutzung von Drogen darf nicht länger durch das Strafrecht
behindert werden. Allein der behandelnde Arzt im Einvernehmen mit den Patienten
sollte über passende Therapien entscheiden. Dies gilt nicht nur für die
Suchttherapie oder den Einsatz von Hanf als Heilmittel, sondern auch in der
schmerz- und psychotherapeutischen Arbeit.
4. Hanf und das Kokablatt müssen ganz aus dem Strafgesetz herausgenommen werden
und deren Anbau und Verteilung auf legale Regulierungsmöglichkeiten mit
Qualitätskontrolle und Jugendschutz gestellt werden.
5. Die Bundesrepublik muss jegliche polizeiliche Zusammenarbeit mit und
kriminalistische Unterstützung von Staaten, die bei der Drogenbekämpfung
eklatant gegen Menschenrechte verstoßen, umgehend abbrechen.
Diese fünf Schritte sehe ich – wie gesagt – als Grundlage, als minimale
Voraussetzung dafür, Menschenrechte und Drogenpolitik zusammen zubringen. Es
sind politische Entscheidungen, die zeitnah ohne Risiko umgesetzt werden können.
Perspektivisch werden weitere Schritte folgen müssen. So könnten wir tatsächlich
auf einen grünen Zweig kommen.
Wir stehen hier hinter dem Brandenburger Tor. In zwei Tagen erinnern wir an ein
Datum, das für staatliche Willkür steht. Ein architektonisches Ungetüm – die
Berliner Mauer – setzte den Bürgern eine Grenze, mit allen tödlichen
Konsequenzen. In der DDR haben wir trotz scheinbarer Aussichtslosigkeit für
Demokratie und Menschenrechte gekämpft. Und dieses Betonungetüm brach nahezu
über Nacht in sich zusammen.
Auch mit der Prohibition setzt der Staat willkürlich eine Grenze, mit allen
tödlichen Konsequenzen. Doch ich bin mir sicher, dass auch die Mauer der
Prohibition einstürzen wird. Nicht von allein, wir haben da noch Viel zu tun.
Aber es ist möglich.
Die Hanfparade ist eine Menschenrechtsbewegung. Mit diesen Anspruch und
Selbstbewusstsein sollten wir auch auftreten.
Danke, dass Ihr alle heute da sein.