Quelle: Der Standard.at
16.10.2012
Michael Matzenberger
In Österreich darf nur ein Unternehmen offiziell psychoaktive Substanzen aus Hanf vermarkten. Auskünfte darüber sind rar
Wer in Österreich Cannabis besitzt, muss schon bei geringen Mengen mit einer Haftstrafe bis zu einem halben Jahr rechnen. Wer gar einen Handel mit den THC-haltigen Pflanzenteilen aufzieht, hat sich im äußersten Fall auf lebenslange Haft einzustellen. Nur die Mitarbeiter eines Unternehmens im Land brauchen sich darum keine Sorgen machen. Sie dürfen dieses Gewerbe als einzige legal betreiben.
“Der Anbau von Pflanzen der Gattung Cannabis zwecks Gewinnung von Suchtgift”, heißt es in Paragraf 6a des Suchtmittelgesetzes, “ist nur der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH (AGES) oder einer zu diesem Zweck gegründeten Tochtergesellschaft gestattet”.
Namen unter Verschluss
Paragraf 6a wurde mit der Novellierung im Jahr 2008 ins Suchtmittelgesetz aufgenommen, seither darf das staatliche Unternehmen den Ausgangsstoff für Arzneimittel aus Hanfpflanzen herstellen und vermarkten. Mit der Novelle ordnete der Gesetzgeber nicht nur ein Monopol auf die Produktion von medizinischem Cannabis an. In Absatz 1 Punkt 2 gab er privaten Pharmaunternehmen gleichwohl die Gelegenheit, bis zu ein Viertel der Unternehmensanteile an der möglichen Tochtergesellschaft zu zeichnen und am Monopol teilzuhaben.
Ob, und falls ja, wann die Tochter gegründet wurde, wie ihr Name ist und wo der Unternehmenssitz, will die in Wien-Donaustadt ansässige Agentur nicht bekanntgeben. Die Anzahl der Mitarbeiter und welche Mengen an Hanfblüten jährlich zur Weiterverwendung geerntet und getrocknet werden, könne er ebenfalls nicht sagen, so AGES-Sprecher Roland Achatz.
Die Verschwiegenheit gegenüber der Öffentlichkeit begründet Achatz mit privatrechtlichen Verträgen zwischen der AGES und ihren Abnehmerfirmen. So bleiben auch die Namen der Pharmaunternehmen, die die gewonnenen Substanzen zu Medikamenten weiterverarbeiten, unter Verschluss.
Vage Sicherheitsregeln
Wie den Erläuterungen zur Gesetzesnovelle zu entnehmen ist, soll das Bundesministerium für Gesundheit, Familie und Jugend die “gewerbliche Arzneimittelherstellung” der Agentur kontrollieren. Doch auch das Gesundheitsministerium entpuppt sich in dieser Frage als Sackgasse: “Die Sache liegt bei der AGES, bitte dort nachzufragen.”
Ein bestimmtes Maß an Geheimhaltung lässt sich beim Betrieb eines Rauschmitteldepots freilich mit dem Schutz vor kriminellen Energien begründen. Die Sicherheitsauflagen sind in Paragraf 9 des Suchtmittelgesetzes allerdings nur vage geregelt. Die AGES muss ihren “Suchtmittelvorrat durch geeignete, den jeweiligen Umständen entsprechende Maßnahmen gegen unbefugte Entnahme sichern.”
Dass man in Österreich aber eher an den Standort von angereichertem Uran oder dem nationalen Banknotendruck gelangt, als an jenen einer Nutzpflanzenplantage, soll neben dem Sicherheitsgedanken noch andere Gründe haben.
Gesetzgeber wolle nicht in Erklärungsnotstand geraten
Laut Kurt Blaas, dem Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft “Cannabis als Medizin”, sind es politische Motive, warum über die staatliche Cannabiszucht möglichst “ein Mantel des Schweigens gehüllt” wird. Diese ergäben sich vor allem aus dem Widerspruch, dass der Gesetzgeber positive Aspekte in den Inhaltsstoffen der Pflanze sieht, über die er aber bei der Legalisierungsdebatte nicht stolpern will.
Blaas verschreibt jedes Jahr mehreren hundert Patienten Arzneien auf Cannabisbasis. Anhand seiner Arbeit hat der Wiener Allgemeinmediziner die schmerzhemmende Wirkung der Präparate in einer Studie dokumentiert. Blaas verweist auf den Kooperationspartner der Erhebung, das deutsche Unternehmen Bionorica Ethics.
Licht ins Dunkel der amtlichen Diskretion
Mit der Bionorica Research GmbH unterhält der Pharmakonzern auch in Österreich eine Niederlassung. Deren Geschäftsführer, Eberhard Pirich, bringt schließlich Licht in das Geheimnis um die legitimierte Cannabisplantage: Es sei das Unternehmen Bionorica selbst, das im Rahmen eines Public-Private-Partnerships von der AGES mit den Rohstoffen beliefert wird.
Eine “zu diesem Zweck gegründete Tochtergesellschaft” der Agentur existiert laut Pirich nicht, Bionorica bezieht das Marihuana direkt aus den Gewächshäusern der AGES. Daraus wird in Deutschland der Hauptwirkstoff Dronabinol extrahiert und in Form von Kapseln oder Tropfen wieder über konventionelle Vertriebswege nach Österreich importiert.
Der Grund für die amtliche Diskretion in dieser Sache liegt laut Pirich zum Teil tatsächlich in der Legalisierungsdebatte. Das in Österreich gezogene Cannabis solle Patienten helfen und nicht als “Schlitten für eine Legalisierung” dienen. Davor werde man sich hüten.
(Michael Matzenberger, derStandard.at, 16.10.2012)
Wissen
In der medizinischen Praxis wird aus den Hanfblüten meist der Wirkstoff Dronabinol (Delta-9-Tetrahydrocannabinol) extrahiert, der laut Ministerialerkenntnis “bei Übelkeit und Erbrechen im Rahmen einer Tumorerkrankung oder Chemotherapie, Appetitlosigkeit und Kachexie/Anorexie bei Tumor- oder HIV-Erkrankung, Spastik und spastisch bedingten Schmerzen bei Multipler Sklerose oder nach Rückenmarksverletzungen sowie anderen Bewegungsstörungen, Tourette- Syndrom, chronischen oder neuropathischen Schmerzen zum Einsatz gelangt”. Die Höchstmenge an Cannabis, die die AGES produzieren darf, ist im Suchtmittelgesetz definiert: “Der Vorrat an Cannabispflanzen und Cannabis darf in der Regel die für die Erzeugung von Suchtgift im folgenden Halbjahr erforderliche Menge nicht übersteigen.” Über die Anbaufläche und das Verhältnis des amtlichen Verkaufspreises zum Schwarzmarktpreis von Cannabis liegen nur inoffizielle Schätzungen vor.