ENCOD BULLETIN – DROGENPOLITIK IN EUROPA
JULI 2013
DIE GRÜNE REVOLUTION PLANEN
Vom 21. bis 23. Juni fand die Encod-Mitgliedergeneralversammlung in Bermeo, Baskenland/Spanien statt. Aus 10 Ländern nahmen mehr als 30 Aktivisten teil, die sich alle für die Rechte von KonsumentInnen und ErzeugerInnen einsetzen und eine Drogenpolitik unterstützen, die der Gesellschaft als Ganzem dient.
Die Voraussetzungen hätten besser nicht sein können. Bermeo ist eine kleine Stadt an der baskischen Küste, in der nachts nur 3 Polizisten für die Sicherheit sorgen. Urjogabardea, der örtliche Cannabis Social Club, hatte die Versammlung in Kooperation mit den örtlichen Behörden in einem Gebäude der Gemeinde organisiert, mitten in der Stadt am zentralen Platz.
Bermeo
Die Zeit war auch auf unserer Seite. Am 23. Juni, dem Tag nach der kürzesten Nacht des Jahres, verbrennen die Bewohner von Bermeo traditionell die bösen Geister der Vergangenheit. Sie glauben, dadurch können sie frisch in das neue Jahr starten. Wir sind ihrem Rat gefolgt und haben viele Ideen und konkrete Pläne erarbeitet, wie es ab Juli weitergehen soll.
Zuallererst konzentrieren wir uns auf die Wahlen für das Europäische Parlament, die im Mai 2014 stattfinden werden. Da die Europäische Kommission mit dem Vorhaben, ein eigenes Forum für den Dialog zur Drogenpolitik mit der Zivilgesellschaft zu schaffen, gescheitert ist, werden wir unsere Bemühungen in Zukunft auf jene richten, die die Zivilgesellschaft wirklich in Brüssel vertreten. Gegen Ende dieses Jahres planen wir ein Treffen im Europäischen Parlament, auf dem wir für bessere öffentliche Gesundheitsversorgung, Menschenrechte und mehr Transparenz in der europäischen Drogenpolitik werben. Wir werden die Standpunkte der Kandidaten zur aktuellen Drogenpolitik und zu möglichen Alternativen festhalten und auf Basis dieser Ergebnisse die Menschen zum Wählen mobilisieren. Die Encod-Webseite wird in den nächsten Monaten überarbeitet und zur Kampagnenplattform umgebaut.
Zweitens werden wir unsere Energie auf Wien richten. Es bestehen reelle Chancen, dass 2016, wenn die UN eine Sondersitzung ihrer Generalversammlung zur Drogenproblematik abhalten, die derzeitige Strategie in Sachen Drogen grundlegend überarbeitet wird, sodass eine flexiblere Auslegung der internationalen Übereinkommen möglich ist.
Auch ohne das Zutun von Encod wird der Krieg gegen die Drogen zu einem Ende kommen. Wenn wir jedoch sicherstellen wollen, dass die neue Politik, die danach zur Anwendung kommt, auch die Interessen von Konsumenten und kleinen Erzeugern berücksichtigt, können wir es uns nicht leisten, untätig zu sein.
In den kommenden Monaten wird ein Team aus Encod-Mitgliedern mit Sitz in Wien sich engagiert für die Gewinnung von Sponsoren für eine Veranstaltung in Wien einsetzen, die während der Zusammenkunft der CND ((UN-Suchtstoffkommission)) im März 2014 stattfinden soll. Dies kann eine Massendemonstration oder eine stille Aktion vor dem UN-Gebäude sein. Zumindest wird die nächste Encod-Generalversammlung in Wien am Wochenende vor dem Treffen der CND stattfinden.
Encod-Mitglieder in Bermeo
Drittens werden wir weiterhin für Cannabis Social Club als Modell für die Organisation des Cannabis-Markts in Europa eintreten. Die gute Nachricht ist, dass die Existenz von CSCs in Belgien und Spanien die Menschen in vielen Ländern inspiriert. Sobald es keine Straftat mehr darstellt, als Einzelperson mindestens eine Pflanze anzubauen, ist die logische Folge, dass die Errichtung eines Cannabis Social Clubs unter den richtigen politischen Bedingungen möglich ist, mit allen damit verbunden Vorteilen.
In Frankreich muss sich die CSC-Bewegung entscheiden, ob sie offen nach außen treten will oder im Verborgenen weitermacht bis es genügend Clubs gibt. Frankreich hat mit die strengsten Cannabisgesetze in Europa und nach intensivem Druck der Regierung wurden fünf zukünftige Clubs am 20. Juni 2013 aufgelöst. Dies lässt nun die zweite Option, das Wirken im Verborgenen.
In Slowenien wurde die Schaffung von CSCs durch Gesetzesänderungen möglich, jedoch müssten diese vom Gesundheitsministerium überwacht werden. Momentan wollen die Clubs unabhängig bleiben.
Fredrick Polak nach 4 Jahren als Encod-Präsident zurückgetreten
Deutschland ist das bevölkerungsreichste Land in Europa, insofern wäre die Einführung von CSCs gerade hier ein Riesenschritt für die Bewegung, aber es kommen kulturelle Unterschiede zum Tragen, denn von der deutschen Gesellschaft werden rechtliche Grauzonen nicht toleriert (im Gegensatz zu Spanien, den Niederlanden und Belgien). Es gibt bundesweit zwar viele, die im Verborgenen anbauen, an die Öffentlichkeit will damit jedoch keiner. Petitionen und Unterstützerarbeit bei politischen Parteien ist ein Weg, der mehr verspricht. Ein Patient hat vor Kurzem vor Gericht erstritten, dass er als Erster zuhause sein eigenes medizinisches Cannabis anbauen darf. Eine Bedingung gibt es jedoch: Er muss seine Wohnung für 14.000 EUR absichern. Fortschritt nach deutschem Vorbild geht langsam und gründlich vonstatten. Das bedeutet, dass Gesetze für den Betrieb von CSCs sehr eindeutig sein müssen und auf jeden Fall einen belastbaren rechtlichen Rahmen darstellen müssen für andere Länder, die dem Beispiel folgen wollen.
In Großbritannien gibt es viele selbsternannte Cannabis Social Clubs. Es sind etwa 80 an der Zahl (seien es auch Gruppen, die eigentlich nur auf Facebook existieren). Der Polizei zufolge ist Cannabis „ziemlich“ entkriminalisiert, wobei „ziemlich“ noch nicht reicht, um Cannabis Social Clubs in die Öffentlichkeit zu locken. Die Regierung hat angekündigt, scharf gegen solche Organisationen vorgehen zu wollen. Und überlässt damit den Markt weiterhin Kriminellen.
Italien ist für Cannabiskonsumenten ein hartes Pflaster. Hier haben die Politiker eines der strengsten Drogengesetze Europas aufgebaut und die Gefängnisse sind reichlich überbelegt. Schon der Besitz von nur 5 Gramm für den Eigengebrauch kann eine Gefängnisstrafe nach sich ziehen. Unter diesen Umständen ist die Eröffnung eines Cannabis Social Clubs unmöglich, obwohl es Bestrebungen gibt, einen für Patienten zu gründen.
In Österreich ist der Anbau für den Eigenbedarf erlaubt. Dies ermöglicht die Einrichtung von Cannabis Social Clubs. Die größte Partei will Cannabis entkriminalisieren. Aktivisten erarbeiten unterstützt von Anwälten gemeinsam mit den Gemeinden Wege, wie CSCs aufgebaut werden können und wie eine Strafverfolgung der Betreiber der Clubs verhindert werden kann.
Die Stadt Utrecht in den Niederlanden fand das Konzept des Cannabis Social Club so gut, dass sie jetzt bekanntgegeben hat, selbst bald einen eröffnen zu wollen. Derzeit wird nach Möglichkeiten gesucht, wie sich eine Inhaftierung des Inhabers umgehen lässt, denn der Anbau ist in den Niederlanden immer noch verboten.
Unterdessen sprießen in Belgien und Spanien die Cannabis Social Clubs und andere Initiativen, die den rechtlichen Rahmen ausschöpfen, der sich durch die Clubs bietet. Auf der Versammlung kam die Idee auf, Encod in einen Europäischen Zusammenschluss von CSCs umzuwandeln, wir kamen aber schnell wieder davon ab. Weder können noch wollen wir in dieser Sache den Richter spielen. Wir freuen uns über alle Initiativen, die sich dafür einsetzen, Cannabis sicher, gesundheitsverträglich und transparent vom Erzeuger zum Verbraucher zu bringen, aber insbesondere treten wir für das Modell Cannabis Social Club ein, das wir anhand einer Reihe von Grundsätzen erneut näher erläutert haben. Unter anderem wollen wir europäische Anwälte dafür gewinnen, eine erfolgreiche Strategie zu erarbeiten, wie das CSC-Modell vor einem Richter ihres eigenen Landes erfolgreich verteidigt werden kann.
Der neue Vorstand: Janko Belin, David Rosse, Has Cornelissen, Enrico Fletzer, Derrick Bergman, mit Joep Oomen und Beatriz Negrety
Zum Schluss wählte die Generalversammlung einen neuen Lenkungsausschuss für die nächsten zwei Jahre. Es besteht aus David Rosse (Österreich), Derrick Bergman und Has Cornelissen (Niederlande), Enrico Fletzer (Italien) und Janko Belin (Slowenien). Ab sofort wird der Vorsitz des Lenkungsausschusses alle 6 Monate wechseln. Derrick Bergman wurde zum ersten Vorsitzenden gewählt.
Der Vorstand wird von einem inneren Kreis von Encod-Mitgliedern unterstützt (hoffentlich mindestens einem Mitglied aus jedem Land), die sich in jeweils einem der von Encod besetzten Themenfelder intensiv engagieren. In den kommenden Wochen wird der Lenkungsausschuss eine Strategie erarbeiten, wie der innere Kreis und alle anderen Mitglieder in die nächstjährigen Aktivitäten eingebunden werden sollen. Fortsetzung folgt.
Von Joep Oomen (mit Unterstützung von Bill Griffin und Peter Webster)
Photos: Gonzomedia