ENCOD-BULLETIN ZUR DROGENPOLITIK IN EUROPA
APRIL 2014
ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT
Der deutsch-amerikanische Philosoph Theodor Adorno sagte einmal: „Ich fürchte nicht die Rückkehr der Faschisten in der Maske der Faschisten, sondern die Rückkehr der Faschisten in der Maske der Demokraten.“ Dieses Sprichwort passt auch gut zum Fall von ‚Wolf im Schafspelz‘, den wir kürzlich beim Treffen der UN-Suchtstoffkommission in Wien erleben konnten.
Was soll man halten von der Aussage von Raymond Yans, Leiter des Suchtstoffkontrollrats (INBC), die UN-Verträge hätten Drogen nie verbieten wollen, sondern die medizinische Verwendung ermöglichen? Oder von der Juri Fedotovs, Direktor des UN-Büros für Drogen- und Kriminalitätsbekämpfung, der die zivilgesellschaftlichen Organisationen, die die Drogendebatte voranbringen wollen, lobend „Helden“ nennt?
In Wien schien endlich ein allgemeiner Konsens darüber zu herrschen, dass die Kriminalisierung von Drogenkonsumenten dem gesunden Menschenverstand zuwiderläuft. Michel Kazatchkine vom HIV-Programm der Vereinten Nationen sagte, dass die Kriminalisierung der Hauptgrund für die HIV- und Hepatitis-Pandemien in Zentralasien und Osteuropa sein. Das scheint ein Zeichen der Zeit zu sein, da viele Jahre lang Gesundheits- und Drogenpolitik auf UN-Ebene als unvereinbar galten. Tatsächlich verliert der Nulltoleranz- und Verbotsansatz rasant an Einfluss zugunsten eines Paradigmenwechsels, den Herr Fedotov ein „ausgewogeneres Herangehen“ nennt. Aus vielen Ländern ist zu hören, dass Strafverfolgung langsam durch Verwaltungsmaßnahmen ersetzt wird und die medizinische Verwendung eine immer wichtigere Rolle spielt.
Die Hardliner stecken offensichtlich in einer tiefen Krise. Bei diesem sogenannten „Informellen Dialog mit der Zivilgesellschaft“ las Raymond Yans seine Antworten auf die sorgfältig vorbereiteten Fragen vom Papier ab und gestattete keine einzige Frage aus dem Plenum, wie ein Vertreter des sowjetischen Politbüros in den 1950ern. Ein paar NGOs von Seiten der Prohibitionsbefürworter starteten einen letzten verzweifelten Versuch, innovativ zu wirken, als sie eine neue internationale Plattform zur Verteidigung der Drogenprohibition unter dem Namen „Drug Policy Futures“ (Drogenpolitik der Zukunft) vorstellten. Sah man sich allerdings das Durchschnittsalter der Unterstützer dieser Initiative an, so wurde schmerzlich klar, dass sie vor allem die Drogenpolitik der Vergangenheit vertraten.
Das Treffen der Suchtstoffkommission war auch als Schritt in Richtung der nächsten Sondertagung der Vollversammlung der Vereinten Nationen gedacht, einem wichtigen Ereignis für die Zukunft der weltweiten Drogenpolitik, das 2016 in New York stattfinden wird. Am selben Ort, an dem 1998 der Höhepunkt der Prohibitionspropaganda erreicht wurde, als der damalige Leiter des UNODC, Dr. Pino Arlacchi, seinen berüchtigten 10-Jahres-Plan startete: „Eine drogenfreie Welt, wir können es schaffen“. Heute klingt das wie ein schlechter Scherz, aber damals war es ernst gemeint.
Mittlerweile scharen sich die wenigen verbliebenen Befürworter der Nulltoleranzpolitik um Personen wie Königin Silvia von Schweden, die verkündete, sie werde für alle, die den Wandel nicht mitmachen wollen, ein Treffen in Stockholm veranstalten. Sollten wir uns darüber Gedanken machen? Wahrscheinlich sollten wir einfach vorsichtig sein, wie bei einem unerwartet auf dem Weg erscheinenden Hindernis, und das berühmte türkische Sprichwort im Hinterkopf behalten: „Die Wölfe heulen, aber die Karawane zieht weiter“.
Offensichtlich treten die Gegner einer gerechten und wirksamen Drogenpolitik und gesetzlicher Regulierung momentan einen strategischen Rückzug an, auch wenn sie ihre Position nicht einfach aufgeben werden. Wie im Fall einiger höchst voreingenommener Wissenschaftler, die den Anschein erwecken, eine „Weltkommission“ führender Köpfe aufzubauen, um ihre dominante Position bei der weltweiten Drogenpolitik weiterhin beibehalten zu können. Manche Kandidaten werden behaupten, Cannabis würde Löcher im Gehirn verursachen oder dass die, die Cannabis säen, Opiate ernten werden.
Viele Länder können immer noch keine Maßnahmen zur Schadensbegrenzung einführen. Natürlich könnte Russland eine Menge von der Krim lernen, wenn es denn wollte, wie vom Encod-Vorsitzenden Janko Belin vorgeschlagen in einem offenen Brief an Wladimir Putin.
Andererseits war die gesetzliche Regulierung der Drogenmärkte noch nicht offiziell auf der Tagesordnung der Suchtstoffkommission. Bei einem Treffen der Organisation Amerikanischer Staaten wurde klar, dass lateinamerikanische Länder keine Vorgaben machen möchten, sondern lediglich die verschiedenen Positionen beleuchten, die es in der globalen Drogendebatte in Nord-/Mittel-/Südamerika gibt. Auf der anderen Seite der Marktregulierung, wie es mit Cannabis in Uruguay der Fall ist, stünde die sehr extreme Lösung, die Hoheit über Drogenangelegenheiten vollständig in die Hände der bereits bestehenden kriminellen Kartelle zu legen.
Natürlich sind diese Verallgemeinerungen extrem, obwohl das Überlassen der Hoheit schon heute scheinbar bereits weit fortgeschritten ist. Wie kann eine moderne Gesellschaft sonst akzeptieren, dass ein Teil ihres Wohlstands und Wohlbefindens direkt in die Hände von Kriminellen wandert?
Genau dies sollte die Rede von Encod zum Thema Geldwäsche zum Ausdruck bringen. Bei seiner Teilnahme an den 180 Sekunden am Round Table zu diesem Thema bei der Suchtstoffkommission sagte US-Autor Doug Fine: „Während dieser Zeit wurden im internationalen Drogenhandel 180 x 12,683 US-$ umgesetzt. Das sind 2 Millionen 282 Tausend Dollar. Nach Ablauf dieses Treffens wird sich der kriminelle Umsatz auf insgesamt 9 Milliarden 862.300.800 US-Dollar summiert haben.“ Dieses Argument könnten wir immer wieder anbringen. Die Prohibition ist kostspielig, dumm und es sollten diejenigen dafür zur Rechenschaft gezogen werden, die das Verbot aufrechterhalten wollen.
Lasst uns weiter kämpfen!
Von Enrico Fletzer
NEUES AUS DER ZENTRALE
Vom 22. bis 25. Mai finden in allen europäischen Ländern die Wahlen für das Europäische Parlament statt. Encod wird die Kandidaten im Wahlkampf unterstützen, die sich für das Manifest für sichere und gesunde Drogenpolitik in Europa ausgesprochen haben.
Alle, die diese Kampagne unterstützen wollen, sind herzlich dazu eingeladen, uns die Kontaktdaten der Kandidaten der EP-Wahlen in ihrem Land zukommen zu lassen.
Sie können auch selbst den Kontakt zu Kandidaten aufnehmen und vorschlagen, das Manifest zu unterzeichnen. Wenn wir die Unterschrift eines Kandidaten erhalten, werden wir Wähler für diesen Kandidaten werben.
Bald wird es auch Neues über die kommende Encod-Vollversammlung geben, die wahrscheinlich im September in Slowenien stattfinden wird. Behaltet die Webseite im Auge…