ENCOD-BULLETIN
ZUR DROGENPOLITIK IN EUROPA
AUGUST 2014
Markos, der
Minister, in Griechenland noch immer lebendig
In Griechenland
ist die Verwendung bewusstseinsverändernder Substanzen so alt wie
die hellenistische Kultur selbst und reicht von den Mysterien von
Eleusis bis zum jüngsten bewaffneten Zusammenstoß zwischen
Sicherheitskräften und Cannabis-Anbauern in den Bergen des
Psiloritis-Massivs auf Kreta. Die jungen Einwohner von Zoniana
scheinen es zu genießen, dass ein kleiner Haufen Kreter sich immer
noch gegen die meisten ausländischen Invasoren verteidigen kann, wie
es schon gegen die Venezianer, Türken und sogar die Deutschen der
Fall war. Die Geschichte dieser harten Jungs war Anlass für das
unvergessliche Video [„Smoke Your Myth in Greece“ (Rauch Deinen
Mythos in Griechenland)->https://www.youtube.com/watch?v=vuryLfLxRUc].
Weitere gute
Beispiele sind die eleusischen Zeremonien auf dem Festland und die
Tatsache, dass Kreta nach dem Fall der minoischen Kultur einer der
ersten Orte war, an dem sich der Gebrauch von Schlafmohn durchsetzte.
Griechenland wurde im 19. Jahrhundert Haschisch-Exportnation, und
obwohl der Konsum immer noch streng bestraft wird, gehört Haschisch
rauchen nach wie vor zur Kultur des Mittelmeerraums.
Bis vor Kurzem
wurden alle Drogen in Griechenland streng verfolgt und die
Kriminalisierung und Stigmatisierung von Drogenkonsum führten zu
massiven sozialen und gesundheitlichen Problemen.
Andererseits
scheint die Drogenpolitik das politische Aschenbrödel zu sein, das
unter dem ständigen Kampf leidet, der zwischen der linksgerichteten
Syriza-Koalition und der gegenwärtigen Regierung herrscht, die
versucht, die wirtschaftlichen Beschränkungen durch die EU-Troika zu
erfüllen. Aber sowohl in Griechenland als auch in Zypern wurden
Abgeordnete verschiedener Parteien ins Europäische Parlament
gewählt, die einen Wandel zum Positiven unterstützen könnten.
Vor einigen
Jahren führten eine Entkriminalisierungswelle und zusätzlich ein
Gesinnungswandel bei Sozial- und Gesundheitsarbeitern in Richtung
Akzeptanz von Drogenkonsum zu einem kleinen aber wichtigen Umschwung
in Athen, der Metropole mit der sichtbarsten Heroinszene Europas. Bis
dahin war Griechenland dafür bekannt gewesen, die strengsten
Drogengesetze des gesamten Kontinents zu haben. Und im Zuge der
wirtschaftlichen Krise verschärfte sich die sowieso schon
dramatische Lage noch weiter und die Zahl der Neuinfektionen und
durch Blut übertragenen Krankheiten schnellte in die Höhe.
Ein 2013
verabschiedetes, neues Gesetz kriminalisiert Konsumenten noch immer,
und wer mit einer geringen Menge erwischt wird, wird mit 3 Monaten
und 1000 Euro bestraft, auch wenn es sich um Eigenbedarf handelt (der
nicht klar definiert ist – dies ist der Einschätzung der
Staatsanwaltschaft überlassen). Selbst jemand mit 5 Gramm, der
angibt, zum ersten Mal zu konsumieren, kann diese Strafe erhalten, es
sei denn, er hat ein sauberes Führungszeugnis.
Auch der Anbau
von Cannabis für den Eigenbedarf wird nur als Bagatellstraftat
angesehen und mit 3 Monaten und 1000 Euro bestraft. Vor Kurzem gab es
den Fall eines Patienten, der mit vielen Cannabispflanzen erwischt
wurde. Er erhielt jedoch keine Gefängnisstrafe, da der Staatsanwalt
die therapeutische Bedürftigkeit des Patienten erkannt hatte.
Andererseits hat die Regierung Pläne für einen Gesetzesentwurf
angekündigt, der die Strafen für Großhändler verkürzen würde,
die dann nur ein Drittel der Strafe absitzen müssten, während
Konsumenten das normale Strafmaß erwartet.
Tatsächlich ist
der kulturell verwurzelte Cannabiskonsum Griechenlands und auch des
benachbarten hellenischen Teils von Zypern ein nachhaltiger
Bestandteil des Nationalgefühls beider Länder.
Das Rembetiko,
ein im wahrsten Sinne des Wortes haschischgetränkter Musikstil,
stellt noch immer den ursprünglichsten Teil der populären lokalen
Musikformen dar, dessen dissonante Merkmale von den orientalischen
modalen Melodien herrühren. Dieses Genre ist ein Nebenprodukt der
‚megali katastrofi‘, der großen Katastrophe, womit der
schreckliche Ausgang des griechisch-türkischen Krieges gemeint ist
mit dem Rückzug der Griechisch sprechenden Bevölkerung von der
Westküste der Türkei. Im Zuge dessen verdoppelte sich die
Bevölkerung der Metropole innerhalb nur weniger Monate,
hauptsächlich wegen der anatolischen Flüchtlinge, die statt der
verwestlichten Leute kamen, die die griechischen Nationalisten
eigentlich erwartet hatten.
Hier im
südöstlichen Mittelmeerraum widmete der berühmteste Rembete,
Markos Vamvakaris, sein bekanntestes Stück der politischen Klasse:
„Markos, der Minister“:
„Allen
Premierministern ist der Tod sicher. Die Leute jagen sie wegen der
guten Dinge, die sie tun. Unser Kondylis ist tot. Venizelou ist weg
und Demrziz ist gegangen, als er eine Antwort hätte finden sollte.
Ich denke, ich werde Kandidat für den Premierminister-Posten. Dann
kann ich den ganzen Tag herumspazieren und ohne Ende essen und
trinken. Dann stehe ich im Parlament auf und gebe allen Anweisungen.
Ich lasse sie Wasserpfeife rauchen bis alle stoned sind.“
Der griechische
Autor Ilias Petropoulos (Bild) verbrachte während der letzten
Diktatur einige Jahre im Gefängnis wegen der umfangreichen
Nachforschungen in dieser Untergrundkultur. Er erkannte, dass für
viele Griechen Musik, Tanz und Haschisch rauchen eng miteinander
verbunden sind. Schließlich schrieb Petropoulos ein Buch, das
heilige Haschisch, das daran erinnert, wie dieses kulturelle Erbe
Stimmung gegen die herrschenden Kräfte macht.
„Diese
ineinander verflochtenen Kräfte, die miteinander schwer klarkommen,
sondern gegensätzlich sind, befinden sich in einer ständigen
Involution – manchmal kristallisieren sie, manchmal explodieren sie.
Die Konsumenten sind die prädestinierten Opfer. Niemand hat sie je
nach ihrer Meinung gefragt. Aber auch der letzte Haschischraucher
weiß Dinge, die sich nicht einmal die berühmtesten Gelehrten
vorstellen können. Natürlich habe ich, wie jeder, meine
vorgeschriebene Lektion zum Thema bekommen: etwa, dass Haschisch eine
satanische Droge ist, dass die, die sie missbrauchen, ihren Körper
zerstören, dass der Staat den Haschischhandel zerschlagen sollte,
dass der Rechtsstaat unsere Kinder schützt, dass die Polizei im
Kampf um unser Wohlbefinden nicht ruht und vieles mehr. Vor 20
Jahren, als ich die drei Absätze zu Haschisch und Drogenabhängigkeit
in ‚Rembetika tragudia‘ schrieb, war ich in einer
widersprüchlichen Situation, aus psychologischer und ideologischer
Sicht.“
Für Petropoulos
stellt die Untergrundkultur, der kosmos ipogeios, einen Quell von
Werten, Erfahrungen und Wissen dar, der sich kontinuierlich gegen die
bestehende Gesellschaft wendet. „Ich liebe die Verrückten und die
Haschischraucher, die Diebe und die Huren, weil sie gegen jegliche
Art von Macht kämpfen. Ich liebe sie sogar noch mehr, weil sie die
Polizei und das Strafrecht überleben können, trotz der
abscheulichen kleinlichen bürgerlichen Moral, aber vor allem trotz
ihrer eigenen flammenden Leidenschaft.“
Momentan wird
griechische Drogenpolitik durch die Arbeit von Okana repräsentiert,
der nationalen Organisation gegen Drogen, die trotz ihrer offiziellen
Benennung mit der Eröffnung des ersten Konsumraums für
Heroinkonsumenten im Zentrum Athens tatsächlich einige sehr
interessante Maßnahmen zur Schadensminimierung umsetzt. Auch als
Antwort auf die rasant steigenden Epidemien.
Eine weitere
wichtige Entwicklung war der Paradigmenwechsel bei den
Drogenbehörden, die nun statt auf Drogenkrieg auf Pragmatismus und
Toleranz setzen. Dennoch bleiben manche Lippenbekenntnisse zum
gescheiterten Drogenkrieg bestehen, wie der Titel ‚Behörde gegen
Drogen‘ und ähnliche Benennungen, die noch Solidarität mit der
gescheiterten Politik der Propaganda und der Lügen ausdrückt.
Zweifellos ist
Griechenland der erste Staat, der solchen Fortschritt willkommen
heißen sollte. Ebenso würden auch unsere zypriotischen Freunde und
Patrioten gerne die Welt der Prohibition hinter sich lassen. Es hängt
alles von uns ab.
Von Enrico
Fletzer
NEUES AUS DER
ZENTRALE
Wie stehen die
Chancen für den Drogenfrieden, jetzt, da die Welt scheinbar auf
einen neuen Krieg zusteuert? Die jüngsten Entwicklungen in Israel
und in der Ukraine könnten sehr wohl sehr schnell die geopolitischen
Rahmenbedingungen ändern, in denen wir leben. Egal was passieren
wird, der Ruf nach einer souveräneren Drogenpolitik in Europa – und
weniger blinder Gehorsam gegenüber den USA oder der UN – scheint
berechtigter denn je. Im Herbst fangen wir an, im Europäischen
Parlament für Unterstützung zu werben.
Vorher findet aber noch vom 26. bis 28. September unsere jährliche Vollversammlung
in Goricko, Slowenien, statt. Alle Encod-Mitglieder sind herzlich zur
Teilnahme eingeladen. Drei Tage lange diskutieren wir interne
Anliegen und Vorschläge für Strategien, die zu einer Reform in
Europa führen. Bitte meldet Euch bis 1. September an. [Programm und
Anmeldeformular findet Ihr hier->article4687].
Encod-Mitglieder, die verhindert sind, können ihr Stimmrecht auf ein anderes Mitglied
übertragen, das an der Versammlung teilnimmt.