ENCOD-BULLETIN ZUR DROGENPOLITIK IN EUROPA
DEZEMBER 2014
Legalisierung in den USA: Schöne neue Welt?
Am 4. November hat sich die Mehrheit der Wähler in den US-Staaten Alaska und Oregon für die Legalisierung vn Cannabis ausgesprochen. Vier US-Staaten haben Cannabis jetzt legalisiert. Es wird allgemein erwartet, dass Europa dem amerikanischen Beispiel folgt, vor allem jetzt, da klar wird, wieviel Geld mit der Pflanze verdient werden kann. Aber große Profite können auch eine Bedrohung für die Cannabis-Kultur darstellen.
Der jährliche High Times Cannabis Cup in Amsterdam war auf vielerlei Weise ein Sinnbild für die wachsende Kluft zwischen alter und neuer Welt. Zum ersten Mal in 27 Jahren erwies es sich als unmöglich, die Traditionsmesse zu organisieren. Die 44 Händler, die am 23. November ihre Stände aufbauen wollten, mussten wieder zusammenpacken. Die Stadt Amsterdam hat deutlich gemacht, dass es eine riesige Razzia geben würde, wenn die Messe nicht geschlossen wird. Die meisten Händler waren tausende Kilometer gefahren, um teilzunehmen.
Unter den Abgewiesenen war die holländische Organisation VOC (Vereinigung für die Abschaffung des Cannabisverbots), die sich jedoch auf der Abschlussveranstaltung im De Melkweg mit einem Protest-Stand präsentierten. Die VOC-Aktivisten sprachen in der Woche des Cannabis Cups mit zahllosen Teilnehmern und Journalisten, die nicht verstehen konnten, warum die niederländische Drogenpolitik so streng und repressiv geworden ist, gerade dann, wenn in den USA die Legalisierung voranschreitet. Am selben Tag, als Wähler in Alaska und Oregon Cannabis legalisiert haben, hat die Eerste Kamer, der niederländische Senat, ein neues Gesetz verabschiedet, das jegliche Beihilfe oder Vorbereitung zum Cannabisanbau verbietet.
Letzten Monat wurde in der niederländischen Sendung ’Tegenlicht’ gezeigt, dass genau diese „Beihilfe“ in Colorado eine schnell wachsende Industrie darstellt. Hunderte Geschäfte rund um Cannabis sind im letzten Jahr entstanden und sie wachsen explosionsartig. In dem Bericht über Colorado erklärt Ty Hubbard von Greenlabs: „Die meisten bauen weder an, noch verkaufen sie, aber sie sind in peripheren Geschäftsbereichen angesiedelt, sei es Marketing oder wie bei Adam Hanfkleidung.“ Welch’ Ironie: Adam Dunn floh in den Neunzigerjahren aus dem USA nach Amsterdam. Zurück in der Heimat ist seine Einschätzung heute, dass in drei Jahren achtzig Prozent der US-Staaten Cannabis legalisiert haben werden, woraufhin die Bundesregierung das Verbot aufheben wird.
Die Zeiten, als die USA Drohungen gegen Länder ausgesprochen hat, die Cannabis legalisieren oder auch nur entkriminalisieren wollten, sind endgültig vorüber. Europäische Länder haben genug Spielräume, den sinnlosen „Krieg gegen Gras“ zu beenden. Das ist die gute Nachricht: die grüne Revolution schreitet unaufhaltbar voran. Die Frage ist, wie wir die Revolution davon abhalten können, ihre Kinder zu fressen, um mit den berühmten Worten von Wolfgang Leonard zu sprechen. Im Bericht über Colorado stellt Chris Nevett, Mitglied des Stadtrats von Denver, fest:
„Es ist interessant, am Anfang, als nur medizinisches Cannabis legal war, waren da viele, naja, stereotypische Cannabisleute im Geschäft. Sie wissen schon, mit langen Haaren und Batikshirts, irgendwie Gegenkultur. Viele von denen waren schnell wieder weg vom Fenster. Die Cannabisunternehmen in Colorado werden jetzt von Leuten in Anzügen dominiert, mit kurzen Haaren und BWL-Abschluss. Es sind ganz normale Firmen.“
Ty Hubbard von Greenlabs schätzt, dass sich die Immobilienpreise in Denver seit der Legalisierung verdreifacht haben. Der „grüne Goldrausch“ in Colorado und den anderen Staaten, die Cannabis legalisiert haben, wird mit dem Internet-Boom in den Neunzigern verglichen und mit dem Goldrausch im 19. Jahrhundert. Hier wird es bitter: Das Land, das die gesamte Welt verpflichtet hatte, Cannabis zu verbieten und zu bekämpfen, ist jetzt Vorreiter und Profiteur einer legalen Cannabisindustrie. Ein Zitat des Stadtratsmitglieds Nevett macht deutlich, wie schnell Europa und vor allem die Niederlande zurückfallen und was sie verpassen: „Es werden nicht nur neue Arbeitsplätze geschaffen, nicht nur Steuereinnahmen generiert, sondern auch intellektuelles Kapital, das wirklich wichtig ist. Dies ist also eine schöne neue Welt. Ich bin der Meinung, dass es enorme Vorteile und ein enormes intellektuelles Kapital bringt, wenn man der erste ist, der in den Ring steigt.“
Der Anblick von amerikanischen Cannabis- und Hanfunternehmern, die in Amsterdam von der Polizei vom High Times Cannabis Cup vergrault werden, ist typisch für diese bizarre Wendung im Geschehen. Während Holland die Hühner schlachtet, die die goldenen Eier legen, baut Amerika Legehennenbatterien. Und während legales Cannabis und ein breitgefächerter Einsatz von Hanf Europa aus der Krise helfen könnte, verharren unsere Politiker im rhetorischen Krieg gegen Drogen oder wagen im besten Fall nur zögerliche Experimente.
Für Encod ist das wirtschaftliche Potenzial von Cannabis und anderen bisher verbotenen Drogen ein nachrangiges Thema. Die Schlüsselbegriffe sind das Recht auf Selbstbestimmung, Freiheit und Unabhängigkeit eines jeden Bürgers. Aus diesem Grund ist das Recht auf Eigenanbau so entscheidend. Jegliches Monopol – egal ob der Staat es hält, die Pharmaindustrie oder kommerzielle Unternehmen – sollte ausgeschlossen werden. Natürlich spielen all diese Beteiligten ihre Rolle: Die Regierungen sind für Überwachung, Überprüfung und das Einziehen der Steuereinnahmen zuständig, die Pharmaunternehmen können die Pflanze in allen möglichen Formen wieder anbieten und Unternehmen können viel Geld verdienen und Arbeitsplätze schaffen. Aber als Bürger muss man das Recht haben, seine eigenen Pflanzen anzupflanzen, wenn man das möchte.
Das Modell „Cannabis Social Club“ kann in Europa eine hervorragende Alternative zum hyper-kommerziellen amerikanischen Modell sein. Transparent, demokratisch und mit Fokus auf den sozialen Aspekt der Cannabiskultur. Encod wird dieses Modell weiterhin unterstützen und neuen und bestehenden CSCs helfen, wo wir können. Wir bestehen jedoch auch auf dem Recht zum Eigenanbau und dem Recht auf Selbstbestimmung für jeden erwachsenen Bürger. Dieser Punkt wird in den kommenden Jahren umso wichtiger werden. Also unterstützen Sie uns bitte und werden Sie Encod-Mitglied. Oder, wenn Sie selbst bereits Encod-Mitglied sind, machen Sie uns bei anderen bekannt. Für nachhaltigen Drogenfrieden.
Text & Fotos: Derrick Bergman
NEUES AUS DER ZENTRALE
Vom 3.-5. Dezember trifft sich die UN-Suchtstoffkommission in Wien. Dieses Treffen bereitet die jährliche Versammlung der UN-Suchtstoffkommission vor, die vom 9. bis 17. März 2015 stattfindet. Janko Belin wird als Repräsentant von Encod teilnehmen und die Regierungen der Welt dazu auffordern, ihre Position bei der Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen 2016 auf eine ernsthafte Debatte mit der betroffenen Zivilgesellschaft über den Einfluss der momentanen Politik und mögliche Alternativen zu stützen.
Diesen Monat werden wir das Datum einer Veranstaltung im Europäischen Parlament in Brüssel Anfang nächsten Jahres bekanntgeben. Diese Veranstaltung wird verschiedene Mitglieder des Europaparlaments umfassen, die konkret Initiative für eine Schaffung dieser Debatte in der EU ergreifen wollen.
Schließlich werden wir im Dezember damit anfangen, alle Cannabis Social Clubs in Europa zu sammeln. Den Anfang machen die Mitglieder von Encod, die sich selbst als CSC gemäß des Verhaltenskodex sehen, der 2011 beschlossen wurde.