ENCOD BULLETIN OVER HET DRUGBELEID IN EUROPA
JANUARI 2016
Spaniens steiniger Weg zur Cannabisregulierung
In den letzten vier Monaten hat das höchste spanische Gericht drei Vereine von Cannabiskonsumenten wegen Vergehen gegen die öffentliche Gesundheit verurteilt. In seinen Urteilen kommt das Gericht zu dem Schluss, dass Anbau und Verteilung durch die Vereine Ebers und Pannagh (Bilbao) sowie Three Monkeys (Barcelona) nicht in das “nicht zu verurteilende” Konzept der kollektiven Kultivierung zum Eigenbedarf passt, welches bislang für viele spanische Gerichte der Grund war, diese und andere Vereine als legal anzusehen.
Insbesondere der Rechtsspruch gegen Pannagh ist ein signifikanter Rückschritt für die spanische Cannabisbewegung, da er der erste Verein dieser Art war, der durch das Provinzgericht von Biscay im Baskenland 2007 freigesprochen wurde. Dieses Urteil gab damals den Cannabiskonsumenten in Spanien den Anstoß, ihre Aktivitäten in einen legalen Rahmen zu bringen. Es führte zur Gründung von hunderten von Vereinen im gesamten Land und insbesondere in Katalonien und dem Baskenland. Dort sollte Cannabis angebaut und unter den Augen der Regierung den Mitgliedern zur Verfügung gestellt werden. Dennoch blieb der fast ungeklärte legale Rahmen weiterhin ein Damoklesschwert. Im November 2011 fand bei Pannagh eine Polizeirazzia statt, bei der 75 Kilogramm Cannabis beschlagnahmt wurden – die Jahresernte für die 300 Mitglieder. Vier Jahre später verurteilte das höchste Gericht Präsident Martin Barriuso und den Vorstand von Pannagh zu Gefängnisstrafen von einem Jahr und acht Monaten sowie Geldstrafen von jeweils 250.000 Euro. Wenn das Urteil nicht zurückgenommen wird, ist die Rechtssicherheit der spanischen Cannabiskonsumenten wieder auf einem Stand wie im letzten Jahrhundert.
Im Jahr 2016 wird Spaniens Prohibitionsgesetzgebung 50 Jahre alt, sie begann mit der Ratifikation des UN-Einheitsabkommens über die Betäubungsmittel von 1961 am 3. September 1966. Schon im Jahr 1974 entschied das höchste spanische Gericht im Gegensatz zu anderen Ländern, dass der reine Konsum und Besitz von Drogen zum persönlichen Konsum nicht strafrechtlich verfolgt werden sollte. Konsistent mit diesem Urteil der anfänglichen Entkriminalisierung von Konsum und Besitz zum Eigenbedarf entschied das höchste Gericht ebenso, dass der kollektive Anbau und das Zur-Verfügung-Stellen einer Droge an einen Gewohnheitsnutzer nicht als Verbrechen angesehen werden kann, wenn dies aus Mitgefühl geschieht, wie das Erleichtern von Entzugssymptomen.
Im Jahr 2001 haben die Rechtsexperten Susana Soto und Juan Muñoz auf Ersuchen der Drogenkommission der Regionalregierung Andalusiens einen Bericht mit einer Reihe von Kriterien veröffentlicht, welche es ermöglichen sollten, unter Einhaltung der geltenden Gesetze Cannabis sowohl zu Freizeit- als auch therapeutischen Zwecken zu bekommen. “Diese Initiativen könnten ihren Platz in unserem Rechtssystem haben, wenn sie als Zentren fungieren, zu dem die generelle Öffentlichkeit keinen Zutritt hat und die ausschließlich für Cannabiskonsumenten zugänglich sind.”
Der Bericht von Soto und Muñoz bot eine Interpretation, nach der Cannabiskonsumenten ihre konstitutionellen Rechte nutzen können um sich in Vereinen zu organisieren und so ihren Bedarf anzubauen – ohne auf den Schwarzmarkt angewiesen zu sein. Der Verein mietet Räume und kultiviert die Pflanzen für seine Mitglieder entsprechend des geschätzten Bedarfs, um einen Überschuss zu vermeiden. Die Ausgaben des Vereins (Miete, Geräte, Reisekosten, Verwaltung, etc.) werden hinzugerechnet und durch die Gesamternte geteilt. Der Beitrag jedes Mitglieds (in Euro/Gramm) deckt je nach Verbrauch anteilig die Kosten.
Ein Cannabisverein soll gar kein Cannabis verkaufen, da ihnen die Pflanzen gar nicht gehören – sondern sie kümmern sich nur um das Eigentum der Mitglieder. Sie sollen keinen Gewinn machen, sondern ihren Mitgliedern eine Dienstleistung bieten, unabhängig vom Umfang der Ernte. Was zählt, sind die Vorteile für die Mitglieder: keine Unsicherheiten mehr hinsichtlich Qualität und möglicher Verschmutzung des Produktes, eine zuverlässige Anlaufstelle für Beratung und Informationen über Cannabis, ein transparentes Modell für die Verteilung von Cannabis als ersten Schritt hin zu einer echten Normalisierung.
Durch die Abwesenheit jeglicher nationalen politischen Initiative für einen rechtlichen Rahmen für dieses Modell haben diese neu gegründeten Vereine bald ihre eigenen Interpretationen des ursprünglichen Verhaltenscodex, der von Pannagh und den ersten Aktivisten erarbeitet worden war, entwickelt. In dem ursprünglichen Modell ohne Profit konnten manche Menschen sich nicht zurückhalten und tauschten Transparenz und Rechenschaftsfähigkeit gegen kommerzielle Strategien, um einen schnellen Gewinn dort zu machen, was als neuer legaler Cannabismarkt angesehen wurde. In manchen Fällen wurden Vereine zu Clubs und Mitglieder wurden zu Kunden. In Städten wie Barcelona oder San Sebastián haben lokale Politiker ohne Rücksprache mit der Zentralregierung in Madrid angefangen, Rechtsrahmen für Clubs zu entwickeln. Investoren rund um die Welt kamen in das Land und wollten einen “Cannabisclub kaufen”, angezogen durch Webseiten mit Werbetexten wie diesem “Seit der Eröffnung einer neuen Generation von Cannabis Clubs und dem Aufkommen von Kunden, die mehr wollen, ist Barcelona einen Schritt weiter gegangen als die Coffeeshops in Amsterdam. Heute brauchen sich Abgabestellen in Barcelona nicht vor dem Vergleich mit den Abgabestellen für medizinisches Marihuana in Colorado oder Kalifornien zu scheuen.”
Während es den Mitgliedern von Pannagh mit der Gründung eines Cannabis Social Clubs um einen notwendigen Akt zivilen Ungehorsams gegen ein ungerechtes Gesetz ging und darum, den Diskurs in der Gesellschaft anzustoßen, scheint es für die “neue Generation” mehr und mehr eine finanzielle Sache zu sein. Als Konsequenz daraus wurde die Bewegung der spanischen Cannabisaktivisten, eine kleine Gruppe, die seit mehr als 10 Jahren für diese bemerkenswerten Fortschritte kämpft, in hitzige Konflikte über die richtige Strategie für CSCs verwickelt.
Nun ist das Schwert des Damokles nicht nur auf Pannagh herabgefallen. Das Urteil des höchsten Gerichts, welches durch die letzten Zuckungen des konservativen Spaniens inspiriert wird, den Prozess der Cannabisregulierung zu stoppen, wird drastische Konsequenzen haben, denn es wird erwartet, dass viele der legal etablierten Clubs schließen um strafrechtlicher Verfolgung zu entgehen.
Währenddessen weiß jeder, dass auf lange Sicht die Zentralregierung in Madrid sich selbst das höchst unpopuläre Verbot von Cannabis nicht leisten kann. Denn auch dies könnte der Tropfen sein, der das Fass der Autonomiebewegung zum Überlaufen bringen könnte. Ein echter Schritt vorwärts für das gesamte Land in Form einer neuen Gesetzgebung ist unausweichlich. Auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass dies sehr bald passieren wird, denn zu den Wahlen am 20. Dezember ist die politische Situation noch schwieriger geworden.
Deswegen ist es ausschlaggebend, dass das Urteil zu Pannagh zurückgezogen wird. Außerdem muss der Verein alle Unterstützung erhalten, damit alle verfügbaren Mittel ausgeschöpft werden können, um Gerechtigkeit zu erfahren – ohne finanziellen Albtraum!
Der Fall wird auch für Europa große Bedeutung haben. Nach dem ersten Polizeieinsatz gegen Pannagh in 2005 hat der italienische Abgeordnete Giusto Catania der Europäischen Kommission folgende Frage gestellt: Wenn die spanische Gesetzgebung einem Verein von Cannabiskonsumenten den Betrieb genehmigt, und wenn dort die Möglichkeit besteht, Cannabispflanzen legal anzubauen, vorausgesetzt, dies geschieht ohne kommerzielle Absichten, wie kommt es dann, dass die spanische Justiz gegen einen rechtlich korrekt geführten Verein vorgeht, die nur für den Eigenbedarf anbaut? Ist das nicht Inkonsistent mit dem Prinzip von rechtlicher Sicherheit und dem Recht zur Vereinsbildung?”
Die Antwort war sehr klar: Die Europäische Union hat nicht die Kompetenz, Aktivitäten rund um Besitz oder Konsum zu regulieren. EU Mitgliedsstaaten sind durch die Gesetze der Vereinten Nationen und der EU verpflichtet, gegen alles vorzugehen, was mit dem kommerziellen Vertrieb von verbotenen Drogen zu tun hat. Diese Verpflichtung trifft im Fall des Anbaus für Eigenbedarf nicht mehr zu, da dies nicht von der Rahmenentscheidung des Europäischen Rats gedeckt ist. Die Kultivierung von Cannabis zum Eigenbedarf wird von nationalen Gesetzen definiert. Ähnlicher Spielraum existiert im Einheitsabkommen über die Betäubungsmittel von 1961.
Die spanische Regierung ist daher – wie jede andere Regierung auch – befugt, ihren eigenen administrativen Rahmen für die individuelle oder kollektive Kultivierung von Cannabis zum Eigenbedarf. Sie darf zum Beispiel die Anzahl von Pflanzen bestimmen, die jede Person besitzen darf ohne irgendwie gegen internationale Abkommen zu verstoßen.
Für die kommenden Tagen wird erwartet, dass Pannagh seine Pläne für die Weiterführung des Falls in einer höheren Instanz. An dieser Stelle könnte dies der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg sein. Der weitere Verlauf betrifft alle, die weltweit für eine Regulierung kämpfen, die rechtliche Unsicherheiten beim Thema Eigenbedarf ausschließt. In jedem Staat, der sich selbst für zivilisiert hält, sollten erwachsene Personen (unter bestimmten Vorgaben, zum Beispiel der maximalen Anzahl Pflanzen oder entsprechender Innen-/Außenanbaufläche) jegliche Art von Pflanzen für den Eigenbedarf anbauen und mit anderen teilen dürfen.
Wir sind alle Pannagh!
Von Joep Oomen