ENCOD-BULLETIN ZUR DROGENPOLITIK IN EUROPA
DROGEN IN EUROPA
MAI 2016
Ich hatte die Ehre, in den vergangenen vier Jahren die europäische Abteilung von Law Enforcement Against Prohibition (LEAP) zu leiten und habe das Wachsen und Gedeihen der Landesgruppen in UK und Deutschland begeistert mitverfolgt und bin auf die weiteren Entwicklungen gespannt. In meinen Augen sind die Strafverfolgungsbehörden eine besondere und eine kritische Stimme in der internationalen Debatte zur Reform der Drogenpolitik.
LEAP, gegründet 2002, hat heute über 150.000 Unterstützer und Sprecher in 20 Ländern. Uns gehören Polizeibeamte an, Anwälte, Richter, Gefängnisdirektoren, Bewährungshelfer, Geheimdienst- und Militärangehörige und sogar internationale Drogenbarone. Was uns eint ist die gemeinsame berufliche Einsicht, über das gesamte Spektrum der Strafverfolgung hinweg, dass das Drogenverbot grandios gescheitert ist.
In den letzten 50 Jahren ist der Drogenkonsum weltweit exponentiell gestiegen, illegale Drogen sind in der Wirkung stärker geworden, sie sind allüberall erhältlich und die Preise bei Straßendrogen sind im Keller. Wie können unsere Regierungen angesichts dieser Informationen behaupten, sie würden den „Krieg gegen Drogen“ gewinnen und eine „drogenfreie Welt“ schaffen?
Das Gegenteil ist der Fall: durch das Verbot wurde der globale und exponentiell wachsende Schwarzmarkt erst möglich.
Das Versagen des Drogenverbots wurde mir in den 1990ern bewusst, als ich für den britischen Inlandsgeheimdienst MI5 tätig war. Bei einem meiner Einsätze untersuchte ich die Logistik von Terroristen, was mit einer engen Zusammenarbeit mit dem Zoll in Großbritannien einherging. Diese Erfahrung zeigte mir, dass der „Krieg“ verloren war. Sie machte mir auch schon sehr früh sehr bewusst, dass es immense Überschneidungen von illegalem Drogenmarkt und der Finanzierung von Terroristen gab.
Nach einer Schätzung der US-Drogenbekämpfungsbehörde DEA erhält über die Hälfte der bekannten terroristischen Gruppen ihre Gelder aus dem Drogenhandel. Auf der einen Seite schafft das Drogenverbot und der „Krieg gegen Drogen“ einen Schwarzmarkt, dessen massive Profite eine Haupteinnahmequelle für Terroristen darstellen – nicht zuletzt für ISIS, die teilweise die Heroinlieferungen aus Zentralasien nach Europa kontrollieren. Andererseits führt der Westen den „Krieg gegen Drogen“ auch gegen genau diese Gruppen.
Was unsere Regierungen also dem militärischen Sicherheitskomplex mit der einen Hand geben, geben sie auch den Gegenspielern.
Aber es gibt nicht nur schlechte Nachrichten. In lateinamerikanischen Ländern und US-amerikanischen Bundesstaaten wird Cannabis legalisiert, sichere Injektionsräume entstehen in Europa, Kanada kümmert sich um eine Legalisierung von Cannabis und die Entkriminalisierung von Drogen war in Ländern wie Portugal und in der Tschechischen Republik äußerst erfolgreich.
Sogar auf UN-Ebene, wo vor Kurzem eine Sondertagung der Vollversammlung in New York stattfand, wird das Konzept der Schadensminimierung wenigstens von ein paar Ländern auf den Tisch gebracht, auch wenn der Fortschritt nur im Zeitlupentempo vorangeht.
Die Zeiten mögen sich für viele von uns in der Drogenpolitikreform nicht schnell genug ändern, obwohl in einigen Ländern winzige Schritte in die richtige Richtung getan werden. Aber auch die fortschrittlicheren Länder der internationalen Gemeinschaft sind immer noch durch die juristische Zwangsjacke behindert, die die UN-Verträge zu Drogen darstellen.
Und während Schadensbegrenzung zwar dazu führt, dass Menschen, die sich für einen Konsum entscheiden, nicht mehr kriminalisiert werden, so wird doch das größere Problem, das ich vorhin angesprochen habe, in keinster Weise angegangen: dass die Kriminalisierung bestimmter Drogen den Markt in den Untergrund verlagert, wo organisierte Kartelle und terroristische Gruppen weltweit jedes Jahr riesige Profite einfahren. Durch die Verbotspolitik wurde die größte Verbrechenswelle der Geschichte entfesselt. Wie bei der Alkoholprohibition in Amerika im 20. Jahrhundert kann nur eine Legalisierung und Regulierung diesen Markt aus dem gierigen Griff der Kriminellen befreien.
Ich habe kürzlich eine alte Diskussion von BBC Newsnight gesehen, in der der Komiker und Schauspieler Russell Brand mit dem rechtsextremen Schriftsteller und Kommentator Peter Hitchens debattiert. In der Diskussion konnte man die festgefahrenen Positionen auf Reformer- wie auch auf Prohibitionsseite gut sehen. Die Reformer wurden von Russell Brand vertreten, einem ehemaligen Drogenkonsumenten, der für eine Therapie der Abstinenz eintritt. Die Befürworter des Verbots wurden von Peter Hitchens vertreten, einem Antidrogenkrieger, der die Problematik hauptsächlich aus einer moralischen Perspektive betrachtet und der argumentiert, der Konsum von Drogen sei ein Verbrechen und dass alle solchen Verbrechen zur Abschreckung bestraft werden sollten.
Während ich natürlich eher zur Position von Russell Brand neige, der vor zwei Jahren das schwülstige jährliche Treffen der UN-Suchtstoffkommission in Wien mit seiner Forderung nach Legalisierung aller Drogen elektrisiert hat und dessen persönliche Erfahrungen ich respektiere, bin ich der Meinung, dass er einen wichtigen Punkt übersieht.
Ja, Menschen, die drogenabhängig sind, brauchen Hilfe und Unterstützung und keine Gefängnisstrafe, aber die große Mehrheit der Menschen, die Drogen konsumieren, tun dies in ihrer Freizeit, nur zum Spaß, und entwickeln nie eine Abhängigkeit, genauso wie nur ein kleiner Teil derer, die Alkohol trinken, alkoholabhängig werden. Und dennoch geht es in der Drogendebatte selten um andere als „Problemkonsumenten“, sowohl bei den Reformern also auch bei den Unterstützern der Prohibition.
Für uns ist nicht jeder, der Alkohol trinkt, ein Alkoholiker – warum also werden im öffentlichen Diskurs alle Konsumenten von anderen Drogen als „Abhängige“ in einen Topf geworfen?
Was Hitchens angeht, bin ich perplex. Er scheint der Meinung zu sein, dass alle Gesetze unveränderlich sind, in Stein gemeißelt in von oben eingegebenen Worten, und dass sie deswegen unbedingt durchgesetzt werden müssen. Das ist Quatsch. Alle Gesetze ändern sich, entwickeln sich weiter und spiegeln die sich verändernden Sitten der Gesellschaft wider. Wenn das nicht der Fall wäre, würden wir im Westen immer noch Hexen verbrennen, Sklaven halten, dürften Frauen nicht wählen, wäre Homosexualität verboten und in Amerika wäre Alkohol immer noch verboten.
Diese veralteten, ungerechten und grausamen Gesetze wurden alle abgeschafft.
2014 veröffentlichte LEAP einen Änderungsvorschlag zu den UN-Verträgen, in dem wir argumentieren, dass alle Drogen in das Rahmenübereinkommen zur Eindämmung des Tabakkonsums der Weltgesundheitsorganisation (2003) aufgenommen werden sollten. Wir sind der Meinung, dass nur eine vollständige Regulierung und Kontrolle des Drogenmarkts die Plage, die der illegale Drogenhandel darstellt, beenden kann. Bis dahin werden Profite von mindestens 320 Mrd. Dollar jedes Jahr weiterhin ausschließlich an kriminelle Kartelle und terroristische Organisationen fließen.
Der „Krieg gegen Drogen“ ist gescheitert..
Albert Einstein, der nicht gerade ein Dummkopf war, meinte einmal, dass die Definition von Wahnsinn sei, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten. Genau das können wir bei der Verbotspolitik beobachten.
Es wird Zeit, dass der Wahnsinn aufhört.
Annie Machon ex. MI5 jetzt LEAP
Neues aus dem Vorstand:
Wir arbeiten hinter den Kulissen hart an der Umstrukturierung und Neudefinierung unserer Rollen nach dem plötzlichen Tod unseres Koordinators Joep Oomen. Vielen Dank für Eure Geduld.
In der Zwischenzeit nimmt Enrico Fletzer aus dem ENCOD Lenkungsausschuss vom 20.-22. Mai an der Indica Saliva Tradein Bologna, Italien, teil.