ENCOD BULLETIN ZUR EUROPÄISCHEN DROGENPOLITIK
NR: 46 DEZEMBER 2008
EINE FRISCHE BRISE IN DER BEWEGUNG
Es geschieht etwas. Eine erfrischende Brise reinigt die staubige
Atmosphäre der Drogendebatte. Man sagt, Krisenzeiten stimulieren die Welt
dazu, neue Formen sozialer Organisation auszuarbeiten … oder
Organisationsformen wiederzubeleben, die jahrhundertelang unsichtbar
blieben.
Entwickeln wir uns weiter vom Protest zum Angebot? Definitiv ja.
Vom 21. bis zum 23. November fand in Murguía, Baskenland, der Workshop
“Drogen und Diplomatie” statt. Thema war die Teilnahme von Organisationen
von Drogenkonsumenten in der Drogendebatte. Dieser von Xabier Arana of
Ekimen, einer Vereinigung angesehener Forscher aus dem Baskenland,
geleitete Workshop stellt einen Teil einer Studie zu dieser Thematik dar,
die von ENCOD mit der Unterstützung des drogenpolitischen Dezernates des
Baskenlandes durchgeführt wird.
24 Vertreter von 17 verschiedenen Organisationen und Netzwerken wie
GANJAZZ, LA REGARDERA, AI LAKET, PANNANGH, COMISIÓN CIUDADANA ANTISIDA DE
ÁLAVA, GANJAZZ ART CLUB, PAOTXA, INPUD, LCA, PIC, MDHG, AKZEPT, FAC,
FAUDAS, FEDERACIÓN ENLACE und ENERGY CONTROL, trafen in idyllischer
Umgebung aufeinander. Analysiert wurden die Vor- und Nachteile einer
Mitwirkung bei der Gestaltung und Anwendung von Drogenpolitik durch
User-Organisationen, sowie die Gefahren und Möglichkeiten, mit denen wir
dabei konfrontiert werden könnten. Der Report mit den Ergebnissen der
Studie sowie ein Videoreport werden in den kommenden Monaten vorgestellt.
Neben der Untersuchung der Situation der drogenpolitischen Bewegungen und
der Verbesserungsstrategien für unsere Effektivität, die in sehr
transparenter Weise durchgeführt wird, haben wir in Murguía konkrete
Empfehlungen für den kommenden drogenpolitischen Plan der baskischen
Regierung ausgearbeitet. Auch ein alternativer Drogenaktionsplan für die
Europäische Union, durch den der aktuelle Entwurf der Europäischen
Kommission besser ersetzt werden sollte, wurde erstellt.
Die Empfehlungen der Regierung des Baskenlandes werden in einem Report an
einem Meeting präsentiert, welches zum diesem Zwecke organisiert wird, der
alternative Aktionsplan wird während des kommenden Zivilgesellschaftlichen
Forums zur Drogenpolitik der EU vorgestellt.
Der Workshop in Murguía repräsentiert eine qualitative Verbesserung der
Bewegung für eine Reform der Drogenpolitik. Es ist ein historischer Moment
für soziale Bewegungen, insbesondere für solche, die von Grund auf von den
Bürgern geformt wurden: wir entwickeln uns vom Protest zum Angebot, und
nicht zu einem theoretischen, sondern zu einem Ansatz, der sich durch
einen Prozess häufiger tiefer Reflexion materialisiert hat.
Ausserdem konnten wir solche Bequemlichkeiten wie simultane Übersetzung,
komfortable Tagungsräume etc. genießen, was die Arbeit enorm erleichtert
hat.
Wir beginnen auch, zu erkennen, dass das globale Ziel lokale Probleme
[Einzelpersonen, Protagonisten, interne Streitigkeiten etc.] sowie globale
Schwierigkeiten [heilige und stigmatisierte Substanzen, Dringlichkeit
versus Tragweite etc.] überragt. Wir beobachten die Entstehung eines
gemeinhin einigen Projektes, das mehr und mehr Ganzheit und Bedeutung
erlangt.
Zwar ist diese Zielvorstellung schon immer präsent in der Auffassung von
ENCOD, einer Koalition, die seit 1994 von 20 Organisationen auf 150 in 26
verschiedenen Ländern angewachsen ist. Doch konnten wir in Murguía erneut
feststellen, dass wir alle ENCOD sind, dass wir alle etwas zu ENCOD
beizutragen haben, dass ein echtes Gefühl der Zugehörigkeit zu einem
Netzwerk und der Kooperation mit anderen da ist. Trotz der
Offensichtlichkeit ist es wichtig, sich daran ab und an zu erinnern.
All dies wäre nicht möglich gewesen ohne die tatkräftige Unterstützung
zweier Personen: Iker Val [vom Ganjazz Art Club] und Iker Giraldo Cuadrado
[La Regardera], die sich der Idee annahmen, die während der
Generalversammlung lanciert wurde. In nur 4 Monaten haben sie sie in
Realität umgesetzt.
Die Synergien kommen auch in der Welt der Cannabis Social Clubs zusammen.
Die Föderation der Cannabis-Vereinigungen in Spanien arbeitet seit den
vergangenen Monaten an einem Konsensdokument mit Ratschlägen zur Gründung
eines Cannabis-Konsumentenclubs, der über die meisten grundlegenen
Standarts verfügen würde [Gesetze, Regeln für die Eintragung eines
Vereines, etc.] sowie breiteren Themen wie legalen Lösungen, die aktuell
etabliert sind.
Dies war der erste Schritt zur Ausarbeitung eines zweiten Dokumentes,
welches sich an die spanische Regierung mit Vorschlägen bezüglich der
möglichen Regulierung solcher Clubs richtet. Der dritte Schritt wird die
interne Reglementierung für die Funktionsweise der Clubs sein, welche die
bisherigen Betriebsstandarts für alle assoziierten Clubs erleichtern wird.
All dies ist kein isolierter Prozess; er findet in einem Moment statt, in
dem uns von der anderen Seite des Atlantiks Seile zugeworfen werden, um
die Verbindung zum anderen extremen Ende einer Kette zu erhalten, welche
immer diffuser wird [Konsumenten werden zu Erzeugern, und in
produzierenden Ländern konsumieren die Anbauer traditionell seit früheren
Epochen].
ENCOD ist kurz davor, eine Übereinkunft mit Kokabauer-Organisationen in
Bolivien zu unterschreiben, um Initiativen von Kokabauer-Gemeinden zu
fördern, die der Erlangung wirtschaftlicher Unabhängigkeit in einem Rahmen
integrierter und nachhaltiger Entwicklung dienen; legale Vertriebskanäle
für die traditionellen Derivate des Kokablattes werden erschlossen und
diplomatische Aktionen der Bevölkerung organisiert, um die internationale
Entkriminalisierung des Kokablattes bei internationalen Organen zu
beantragen.
Für diese Projekte werden wir Anfang März in Zusammenarbeit mit MEPs im
Europäischen Parlament eine Konferenz zur Thematik der Aufwertung der
Kokapflanze duch legale Vermarktung ihrer Produkte in Europa organisieren.
Wir wünschen uns die Anwesenheit von Vertretern der
Kokabauer-Organisationen, um öffentlich die Vereinbarung präsentieren zu
können, die bis dahin hoffentlich unterschrieben sein wird.
So wie der Flügelschlag eines Schmetterlings einen Hurrican auslösen kann,
hoffen wir, dass diese frische Brise in der Bewegung die physikalischen
und ideologischen Grenzen überwindet und die notwendige Kraft erlangt, die
Mauer der Prohibition [möglicherweise] zu brechen.
Von: Virginia Montañés Sánchez (mit Hilfe von Peter Webster)
Übersetzt durch koshka
Dank an José Afuera Gómez, of FAC, für die Information zu Cannabis Social
Clubs in Spanien.