ENCOD BULLETIN ZUR DROGENPOLITIK IN EUROPA
Nr. 48 – FEBRUAR 2009
GRÜNES LICHT IM WEIßEN HAUS?
In einigen Wochen könnten wir ein erstes Anzeichen des von Barack Obama versprochenen tatsächlichen Regimewechels in den USA miterleben.
Die UN-Suchtstoffkommission tagt vom 11. zum 20. März in Wien, um neue Richtlinien für die kommenden Jahre internationaler Drogenpolitik zu verabschieden. Das Augenmerk wird auf denen liegen, die von der neuen Besetzung des Weißen Hauses das Mandat erhalten haben, die Versammlung zu begrüßen. Wird Washington die Welt weiterhin in eine Sackgasse führen oder endlich den Dialog eröffnen? Wie werden die anderen beiden Schlüsselrollen der globalen Drogenpolitik, das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung und die Europäische Union, auf diese Chance reagieren, den Kurs der Geschichte zu ändern? Welche Aussichten hat der Traum von einer ernsthaft geführten Diskussion zwischen globalen Mächten über eine rationale Alternative zum Drogenkriegswahn?
Als Veranstalter des jährlichen Meetings der Suchtstoffkommission hat das UNODC keinerlei Interesse an allem, was den Konsens über die aktuelle Situation gefährden könnte.
Die Art, in der Vorsitzender Antonio Maria Costa die Diskussion um die Resultate der niederländischen Cannabispolitik kategorisch ablehnt, zeigt, dass hier die Tür zu neuen Denkansätzen in der Drogenpolitik fest verschlossen ist.
Was die Europäische Union angeht, hängt sehr vieles von den Wortführern ab. Die legendären Widersprüche zwischen den Regierungen der EU sowie zwischen Worten und Taten der EU-Bürokratie bleiben die einzigen Hindernisse für jeden erdenklichen Fortschritt.
In den Niederlanden, wo seit 1976 Cannabis für Erwachsene in Coffeeshops erhältlich ist, ist der Anteil an Cannabiskonsumenten geringer als in den Nachbarländern, in denen es nur auf dem Schwarzmarkt gehandelt wird.
Vor diesem Hintergrund erscheint die Drogenpolitik dieser Länder weitaus fragwürdiger als die der Niederlande. Dies ist das eigentliche Ergebnis, welches EU-Politiker nicht eingestehen und ergebene Bedienstete nicht verlangen wollen. Inzwischen ist jede Form von Debatte zu Drogen verstummt und die EU-Drogenpolitik weiterhin eine hohle Fassade, errichtet, um den Steuerzahler zu prellen.
Im Dezember 2008 hat die Europäische Kommission einen neuen EU-Drogenaktionsplan verabschiedet.
Dem Europäischen Parlament, dem kürzlich eröffneten Civil Society Forum oder dem extra hierfür zwei Monate vorher eingerichteten öffentliche Forum im Internet wurde hierbei keinerlei Mitspracherecht eingeräumt.
Der Plan, der ironischerweise „Mitgestaltung der Bürger an der Drogenpolitik“ als seine zweitgrößte Priorität benennt, wurde allein von Ministern und Beamten verfasst.
In wahrhaft heroischer Manier wird darin die Bildung einer sogenannten European Alliance on Drugs im Juni 2009 angekündigt – einer Kooperation von Bürgern und Behörden zum Kampf gegen Drogen.
European Alliance on Drugs – „europäische Drogenallianz“ – klingt nach einem auf einem Dinner-Plausch zwischen EU-Spitzenpolitikern erfundenen Term. Nicht einmal die, die in den Büros der Anti-Drogen-Abteilung der Europäischen Kommission in Brüssel sitzen, waren in der Lage zu erklären welche Ziele diese Allianz verfolgen oder aus was und wem sie bestehen soll.
Für das nächste Civil Society Forum wird ENCOD einen Vorschlag für einen echten und effektiven Dialog zur Drogenpolitik zwischen europäischen Bürgern und Gesetzgebern.
Ein Dialog, der auf der Erkenntnis unserer gemeinsamen Interessen basiert: den Einsatz des besten verfügbaren Fachwissens, um aus auf Evidenz basierender Information rationale und pragmatische Vorschläge für verbesserte Lösungswege zu bilden.
Aus der Studie, die Encod in den vergangenen Monaten an Organisationen von Drogengebrauchern durchgeführt hat, von denen einige über 35 Jahre Erfahrung mit Behörden haben,
ergeben sich grundlegende Empfehlungen zum Bauen von Brücken zwischen Autoritäten und Betroffenen.
Parallel entwickelt Encod Übergangsmodelle zu einer Zukunft, in der Probleme im Zusammenhang mit Drogen als soziale und gesundheitliche Angelegenheit betrachtet werden und nicht als Gesetzesbruch.
Aufgrund von organisatorischen Schwierigkeiten wird Encod in diesem Jahr keine großen Events vor dem UN-Gebäude in Wien initiieren. Stattdessen wird eine Delegation die Tagung besuchen, die die Erfahrungen einiger Weltbürger, die am meisten von der Drogenpolitik betroffen sind, zu repräsentiert.
Es ist möglich, die Mitglieder dieser Delegation zu treffen – auf einer Konferenz, die Encod am 4. März veranstaltet, eine Woche vor den Ereignissen in Wien. Sie findet im Europäischen Parlament statt, unter dem Titel „Coca 2009 – von Verfolgung zur Vision“. Diese Konferenz wurde in Kooperation mit der bolivianischen Regierung und Kokabauer-Organisationen und unter der Schirmherrschaft von Giusto Catania, Mitglied des Europäischen Parlaments, organisiert.
Dort wird Encod ein Modell zur Kommerzialisierung von traditionellen Kokablatt-Produkten in Europa in einem Fair-Trade-Schema vorstellen.
Diesem Modell zufolge sollen Kokaprodukte nicht im Einzelhandel erhältlich sein. Die kommerzielle Transaktion soll zwischen Organisationen von Kokabauern und Käufern] ohne Zwischenhandel durch Firmen stattfinden. Das Modell basiert auf einer [Vereinbarung, die von Encod und unterschiedlichen bolivianischen Kokabauer-Föderationen unterschrieben. Sie werden sich die Eigentumsanteile an dieser Initiative teilen.
Die Idee ist es, der Welt einen gesünderen Gebrauch von Kokablättern vorzustellen als den, der außerhalb der Andenregionen üblich war und bis heute ist – als Coca-Cola und Kokain. Die Aufzählung der positiven Effekte auf die Funktionen des menschlichen Körpers und Geistes ist beeindruckend. Einer Harvard-Studie von 1978 zufolge haben Tee oder andere Produkte aus Kokablättern nicht nur keine schädigenden Nebenwirkungen, sie sind auch gut geeignet als mildes Stimulanz, Antidepressivum und Lokalanästhetikum, unterstützten die Funktionen des Magens, der Muskeln und der Lunge und können bei der Behandlung von Adipositas und Diabetes eingesetzt werden.
Auf dem UN-Meeting in Wien wird die bolivianische Regierung einen Vorschlag zur Beendigung der Verfolgung der Kokapflanze einbringen. Bei näherer Betrachtung dieser Initiative sollte Barack Obama erkennen, dass der Krieg, der die Andenregion in ein drogenpolitisches Guantanamo verwandelt hat, beendet werden muss – yes, he can.
Durch die Entkriminalisierung der Kultivierung des Kokastrauchs in der Andenregion und Schaffen eines weltweiten Marktes für Kokablatt-Produkte kann ein gerechteres und effektiveres Kontrollsystem über die Kokaproduktion eingeführt werden. Neue Perspektiven für nachhaltige Entwicklung in Koka produzierenden Gebieten könnten entstehen.
Seit 1995 kämpft Encod gemeinsam mit Kokabauer-Organisationen aus den Andenregionen für den legalen Gebrauch traditioneller Koka-Produkte in Europa als Weg, der westlichen Welt den richtigen Umgang mit dieser Pflanze aufzuzeigen. Gleichzeitig wird die Verfügbarkeit von Koka für die illegale Kokainproduktion verringert. Dem Ruf danach hat sich das Europäische Parlament bei mehreren Gelegenheiten angeschlossen. Und seit der Kokabauer Evo Morales Präsident von Bolivien ist, setzt sich die Regierung dieses Landes für die Streichung des Kokastrauchs aus der UN-Liste kontrollierter Substanzen ein.
Dieselbe Theorie lässt sich auf die legale Verwendung des in Marokko traditionell kultivierten Cannabis übertragen, oder des afghanischen Opiums – oder den privaten Anbau jeder Pflanzenart für den persönlichen Gebrauch.
Bei grünem Licht aus dem Weißen Haus sollten UNODC und EU ihre Verantwortung wahrnehmen und mit der Demontage der Konventionen, die die Welt in einen Spielplatz des organisierten Verbrechens verwandelt haben, beginnen. Jede Gemeinschaft sollte das Recht haben, im Kontext der Menschenrechte ihren eigenen, kulturell akzeptierten Umgang der Kontrolle von Substanzen, die ihre Mitglieder zu sich nehmen möchten, zu entwickeln.
Von: Joep Oomen
Wer am 4. März nicht nach Brüssel kommen kann, kann dennoch an der
Diskussion teilhaben – schickt Eure Anregungen einfach an:
coca2009@encod.org
Alle, die anreisen möchten, können sich hier registrieren.