ENCOD Bulletin zur Drogenpolitik in Europa
Nr. 70 – Dezember 2010
Bleiben wir oder gehen wir?
Seit Dezember 2007 nimmt ENCOD an dem sogenannten “Bürgerforum zu Drogenpolitik in der Europäischen Union” (kurz CSF – Civil Society Forum) teil, einem jährlichen Treffen von 26 Organisationen die von der Europäischen Kommission ausgewählt worden sind. Bislang haben drei Sitzungen dieses Forums stattgefunden: Dezember 2007, Mai 2008 und März 2009, sowie eine geplante vierte Sitzung im Dezember 2010.
Im Januar 2011 muss eine neuer Antrag gestellt werden um Teil des Bürgerforums während der nächsten zwei Jahre zu sein. Die ENCOD Mitglieder, die am meisten in dem Bürgerforum beteiligt sind (Vorstand Frederick Polak auf der einen Seite, Koordinator Joep Oomen auf der anderen Seite) haben fundamental unterschiedliche Meinungen zu der Frage, ob ENCOD die Mitgliedschaft im CSF erneuern sollte oder nicht.
In diesem Bulletin werden beide Ansichten präsentiert. Noch in diesem Monat werden alle ENCOD Mitglieder auffordert sein, zu dieser Frage abzustimmen.
WIR SOLLTEN BLEIBEN
Während der Vorbereitungen für das kommende Treffen des Bürgerforums, dem CSF, war unsere erste Aufgabe, die “Regulierung auf die Agenda” zu bringen. Es gab viel Widerstand gegen diesen Vorschlag, aber während des Treffens der sogenannten Kerngruppe des CSF am 8. November wurde er vollständig von INPUD unterstützt und akzeptiert von den anderen Gruppen.
Meine Ansicht ist, dass dies ein wichtiger Schritt vorwärts ist, jetzt wo Thema auf der Tagesordnung des CSF ist. Es wird in einer Arbeitsgruppe diskutiert und die Ergebnisse dem CSF Plenum überbracht werden.
Das ist der erste Teil, von dem was wir wollten. Ich sehe nicht, wie wir gewinnen sollten, wenn wir das machen, was Joep vorschlägt: sich aus dem CSF zurückziehen. Warum sollten wir uns jetzt zurückziehen, wenn wir den Kampf gewonnen haben, die “Regulierung auf die Agenda” zu bringen?
Die Probleme, die Joep anbringt als seine Gründe, das CSF zu verlassen (der Mangel an Repräsentativität der CSF Mitglieder, die Frage wer und was sie repräsentieren, die finanzielle Situation, die Vorherrschaft der Europäischen Kommission über den Gesamtprozess) sind wichtige Fragen, aber sie sind mehrheitlich Verfahrenstechnisch.
Wir beschweren uns regelmäßig über diese Praktiken, aber es ist eine Verschwendung unserer Zeit wenn wir uns zu sehr darauf fokussieren. Dies sind nicht die richtigen Gründe das CSF zu verlassen.
ENCOD muss sich primär auf das Befürworten und Bewerben einer gerechte und effektive Drogenpolitik, wie unser Name es schon sagt, konzentrieren. In dem kommenden Treffen des CSF müssen wir keine sofortige Zustimmung erreichen. Wir wollen eine seriöse Debatte in dem CSF gestartet haben über die Regulierung – auch wenn es mangelhaft sein wird. Wir brauchen all unsere Energie um sicherzustellen, dass die Debatte zu Drogenpolitik in der richtigen Weise durchgeführt wird, so dass aussagekräftige Schlüsse gezogen werden können.
Der Ausgang des kommenden CSF sollte sein, dass dieses Thema aufgenommen wird für genauere Studien und Diskussionen, mit dem Zweck, dass es in den Empfehlungen des CSF für die nächste EU Drogenstrategie aufgenommen wird.
Nach dem Treffen des CSF am 13. und 14. Dezember müssen wir uns Klarwerden über unsere Ziele und die Strategie, da wir uns entscheiden müssen ob wir weiterhin an dem CSF teilnehmen oder nicht.
Ich glaube, dass der ausschlaggebende Faktor sein sollte: wird das CSF mit dem Thema der alternativen Politik fortfahren, so dass dies der Startpunkt für seriöse Diskussionen und Studien ist. Wenn ja, wäre es töricht das CSF zu verlassen. Wenn unsere Anforderung nicht erfüllt werden, kann es noch immer eine Debatte, was die beste Politik sein soll, geben.
Deswegen schlage ich vor, dass ich kurz nach dem Treffen des Bürgerforums am 13. und 14. Dezember einen kurzen Bericht über das Treffen, über die Konsequenzen und unsere Optionen, verschicke.
Wir müssen uns zu dem Kurs unserer Politik in den kommenden Jahren entscheiden und es ist eine gute Sache dass iwr noch etwas Zeit zum Nachdenken haben. In der Zwischenzeit können unsere Mitglieder ihre Belange auf der ENCOD Webseite oder der Eurodrug Liste diskutieren.
Frederick Polak
WIR SOLLTEN GEHEN
Seit Jahren drängt ENCOD die Europäischen Behörden einen aufrichtigen und offenen Dialog mit Bürgern, die von der Drogenpolitik der Europäischen Union betroffen sind, einzuführen um einen gemeinsamen Standpunkt in den offiziellen Zirkeln zu Drogenpolitik. Durch unsere Lobbyarbeit hat das Europäische Parlament 2007 die Europäische Kommission angewiesen, 1 Million Euro pro Jahr für den Dialog mit der Bürgergesellschaft zu Drogenpolitik abzugeben. Nach drei Jahren bin ich zu dem Schluss gekommen, dass die Europäische Kommission die Idee übernommen hat. Sie wurde in ein rein symbolisches Instrument konvertiert, entworfen für Stille, anstelle der Stärkung der Stimme der Bürger. Warum?
1) Die Bürgergesellschaft ist eine Spielzeug der Europäischen Kommission
Die Kommission hat den größten Teil der Gelder, die für den Dialog vorgesehen waren, für ihre eigenen Projekte genutzt: Darunter Propagandakampagnen gegen Drogen, entworfen ohne jegliche Konsultation der bürgergesellschaftlichen Organisationen. Der restliche Teil wird genutzt um ein Treffen pro Jahr durchzuführen, das etwa einen und einen halben Tag andauert mit etwa 40 Personen, abgehalten in den teuersten Umgebungen. Die Teilnehmer wurden von der Kommission nach Kriterien ausgewählt, die niemals veröffentlicht wurden. Die Agenda der Treffen werden von der Kommission festgelegt und die Abgesandten der Kommission zu diesen Treffen spielen eine dominante Rolle in der Steuerung der Unterhaltungen. Sie sind die einzigen verantwortlichen für den Endbericht, der dann an die sogenannte Horizontale Gruppe Drogen – welche die Drogenpolitik der 27 EU Mitgliedsstaaten koordiniert, geleitet wird.
Vom Anfang hat hat die Europäische Kommission alles mögliche getan um eine bedeutsame Debatte zu Drogenpolitik im Rahmen des CSF zu verhindern. Jeglicher kleine Versuch den Kern der Sache zu diskutieren, oder es darum geht ob welcher wissenschaftlichen Grundlagen die Drogenpolitik in Europa sich rechtfertigt, die Diskussion wurde von den Abgesandten der Kommission verworfen. In ihren Berichten zum CSF gibt die Kommission immer ein falsches Bild von Konsens und Zustimmung zu der derzeitigen Drogenpolitik ab, um den Mitgliedsstaaten zu gefallen, von denen einige ihre Bedenken über die Existenz des CSF geäußert haben.
2) Die Mitglieder des CSF sind nicht repräsentativ für die Europäische Bürgergesellschaft
Die Organisationen die Teil des Bürgergesellschaftlichen Forums zu Drogenpolitik sind nicht verpflichtet irgendeinen Beweis anzustellen dass sie effektiv jene vertreten, die sie vorgeben zu vertreten. Einige kleinere Recherche durch ENCOD haben erbracht, dass mindestens zwei der derzeitigen CSF Mitgliedern eigentlich lokale Behörden repräsentieren (welche nicht die Kriterien einer Bürgergesellschaftlichen Organisatione erfüllen), während eine nennenswerte Anzahl von Organisationen im CSF nicht einmal Mitglieder haben. Zum Beispiel, ein CSF Mitglied scheint eine Ein-Mann Show zu sein, nimmt aber für sich in Anspruch ein Netzwerk von 12 Psychiatern in Europa zu sein, von denen mindestens einer im Jahre 2004 verstorben ist.
Organisationen von Gesundheitsfürsorgern (Sozialarbeiter, Behandlungsspezialisten, usw) sind in dem CSF überrepräsentiert, meistens durch den Fakt dass sie schon vorher regulär EU Zuschüsse erhalten und somit eine privilegierte Beziehung mit der Europäischen Kommission führen. Ihre Teilnahme ist motiviert durch die Suche nach weiteren EU Zuschüssen, so wie es von den Personen die sie repräsentieren gewünscht wird. Als solche haben sie kein direktes Interesse die Europäische Kommission zu kritisieren oder sie mit den schrecklichen Effekten ihrer Politik gegenüberzustellen.
3) Das Bürgerforum wird niemals einen Effekt erzielen
Die große Herausforderung in der Europäischen Drogenpolitik ist die Ausarbeitung einer fünf Jahres Europäischen Drogenstrategie. Das Bürgerforum wird gefragt sein, eine Anzahl von Empfehlungen zur nächsten Strategie abzugeben, dies wird von der Europäischen Kommission für 2012 vorbereitet. Diese Empfehlungen werden komplett nutzlos sein.
2008 hat die Europäische Kommission einen grundlegenden Auswertenden Bericht erstellen lassen von den Top-Wissenschaftlern Peter Reuter und Franz Trautmann (Report on Global Illicit Drugs Markets 1998-2007). Dem Bericht zufolge haben Versuche der Kontrolle minimale Effekte auf den globalen Markt für illegale Drogen, der einen jährlichen Wert von geschätzten 300 Milliarden US Dollar aufweist. Zur gleichen Zeit ist das Verbot Hauptursache für den Anstieg der Gewalt, Korruption, ökologischer und gesundheitlicher Schäden. Diese Probleme sind verantwortliche für Tod, Krankheit und ernst zunehmende Zerstörung des Lebensstandards von Millionen von Menschen, Konsumenten, ihrer Umgebung und der Gesellschaft als Ganzes.
Trotzdem sie für den Bericht bezahlt haben, unternahmen weder die Europäische Kommission noch ihre Mitgliedsstaaten irgendwelche Bemühungen die Schlüsse zu diskutieren oder die offenen Fragen zu klären. Wir wissen von keiner parlamentarischen Debatte die bislang in einem der 27 EU Staaten zu dem Reuter-Trautmann Bericht stattgefunden hätte.
Es ist extrem unwahrscheinlich dass diese Art von Empfehlungen für Gesetzesreform, aus dem Bürgerforum kommend – in entfernten Fall die jetzigen Mitglieder würden einem solchen Text zustimmen – irgendeine Auswirkung generieren würde.
Das Bürgerforum ist nicht dafür bestimmt, irgendeine Auswirkung zu erzielen. Es ist entworfen als hohle Fassade um die sogenannte “Konsultation der Bürgergesellschaft” zu einer Politik zu legitimieren, die nicht das Thema der Diskussion mit Parlamentsmitgliedern sein wird.
4) Das CSF ist ein teurer Chatraum
Die drei Sitzungen des Bürgerforums welche bislang stattgefunden haben waren bislang komplett ineffektive und sehr kostspielige (jedes dieser Treffen kostet etwa 60.000 Euro) Treffen einer zufällig ausgesuchten Gruppe von Personen ohne klare Agenda oder Methoden den Erfolg oder Misserfolg des Dialogs zu messen. Es scheint hauptsächlich zu existieren um den Ego’s der Teilnehmer zu schmeicheln und nicht um den so dringend benötigten Fortschritt in der europäischen Drogen Debatte zu bringen. Lasst uns darauf verschwinden, und zwar schnell.
Joep Oomen