Quelle: PROFIL.AT
17. Februar 2009
Der oberste UN-Drogenbekämpfer Antonio Maria Costa über den Suchtgiftmarkt in Zeiten der Wirtschaftskrise, schmutzige Kapitaltransaktionen und die Tatsache, dass Kartellbosse ihre Gewinne am liebsten in Cash unter dem Kopfpolster lagern.
Interview: Martin Staudinger
profil: Herr Costa, wertfrei betrachtet bildet der Handel mit Drogen einen der wichtigsten Märkte der Welt …
Costa: … wenn Sie landwirtschaftliche Produkte hernehmen, sogar den wichtigsten. Der Großhandelswert illegaler Drogen entspricht unseren Berechnungen nach mehr als 90 Milliarden Dollar, also in etwa dem Wert der gesamten Fleisch- und Getreideexporte weltweit. Im Straßenverkauf schätzen wir das Volumen auf über 320 Milliarden Dollar.
profil: Also fast so viel wie das österreichische Bruttoinlandsprodukt (BIP) und mehr als ein halbes Prozent des global erwirtschafteten BIP. Macht sich auf so einem Markt eigentlich die Finanzkrise bemerkbar?
Costa: Sicherlich. Drogenhandel ist im Moment möglicherweise die einzige Wachstumsbranche mit wenig Arbeitslosigkeit. Das Geld, das damit gemacht wird, fließt aber nur zum Teil wieder in illegale Aktivitäten – in Regionen Asiens, Afrikas und Südamerikas dient es dazu, Beamte oder Politiker zu bestechen, Wahlen zu kaufen oder Aufständische zu finanzieren: die Taliban in Afghanistan, die Tamilischen Tiger auf Sri Lanka, die FARC in Kolumbien zum Beispiel.
profil: Und der andere Teil?
Costa: Der wird durch Geldwäsche in den legalen Wirtschaftskreislauf eingespeist. Wir wissen nicht, wie viel, aber das Volumen ist stattlich. Per se, von der makroökonomischen Auswirkung betrachtet, wird damit einfach Investmentkapital eingebracht. Es gibt Anzeichen dafür, dass dieses Geld auch im Finanzsektor landet, der seit der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres offensichtlich unter Druck steht.
profil: In welcher Form geschieht das?
Costa: Es sieht aus, als seien Interbank-Kredite durch Geldmittel finanziert worden, die aus dem Drogenhandel und anderen illegalen Aktivitäten kommen. Es ist natürlich schwer, das zu beweisen, aber es gibt Hinweise, dass manche Banken auf diese Art und Weise gerettet wurden.
profil: Wie darf man sich das vorstellen? Der Drogenboss wird ja kaum zu seiner Filiale marschieren und dort Bargeld einzahlen, um einen Bankenkonkurs zu verhindern.
Costa: Nein, aber vielfach ist Drogengeld derzeit das einzige verfügbare liquide Investmentkapital – etwa, um Immobilien zu kaufen. In der zweiten Hälfte des Jahres 2008 wiederum war Liquidität das größte Problem des Bankensystems, und damit wurde flüssiges Kapital zu einem wichtigen Faktor.
profil: Warum ist es eigentlich so schwer, derartige Kapitalflüsse nachzuweisen?
Costa: Ironischerweise unter anderem deshalb, weil offenbar die Kontrollmechanismen gegen Geldwäsche greifen: Um die elektronische Überwachung von Banktransaktionen zu umgehen, bunkern Kriminelle ihr illegales Geld inzwischen vielfach in Cash-Summen, die in hunderte Millionen Dollar gehen. Auf diese Art versuchen sie, dieses Geld liquide zu halten.
profil: Gibt es Schätzungen, wie viel schmutziges Geld aus dem Drogenhandel in Österreich in die legale Wirtschaft eingeschleust wird?
Costa: Das erste Land, das sauber ist, soll den ersten Stein werfen. Derartige Transaktionen kommen überall vor. Aber Österreich steht sicher nicht ganz oben auf meiner Liste, wenn ich an die betroffenen Länder denke.
profil: An welche denken Sie?
Costa: Wenn ich mir zum Beispiel ansehe, dass die Überweisungen von Geld aus dem Ausland in den meisten Ländern der Welt zurückgehen, denke ich an Westafrika: Dort steigen sie nämlich entgegen allen Trends stark an.
profil: Es gibt Staaten, in denen die Wirtschaft maßgeblich oder überwiegend vom Drogenhandel bestimmt wird. Welche würden Sie dazu zählen?
Costa: Da kann man verschiedene Parameter heranziehen. In Afghanistan ist der Anteil von Wertschöpfung aus dem Opiumanbau und -schmuggel am BIP zwar ziemlich hoch, nämlich bei 30 Prozent. Das rührt aber auch daher, dass das BIP selbst mit weniger als zehn Milliarden Dollar sehr klein ist. In Kolumbien werden ungefähr zehn Milliarden Dollar mit Kokain gemacht – das bedeutet beim dortigen BIP aber nur einen Anteil von weniger als ein Prozent. In einigen westafrikanischen Staaten wie Guinea-Bissau wiederum ist der Wert der Drogen, die durch das Land geschmuggelt werden, höher als das jeweilige BIP, hat aber kaum direkten Anteil daran.
profil: Haben sich die Strukturen des Drogenschmuggels eigentlich verändert – etwa im Sinne, dass sie auch für andere Waren genutzt werden?
Costa: Professionellen Schmugglern ging es immer um das Geschäft, nicht um die Art der Transaktion. Man sieht das etwa am Beispiel von Ländern, die unter einem Embargo standen – etwa der Iran oder der Irak unter Saddam Hussein. Dort sind von der Regierung gedeckte, sehr professionelle Schmugglernetzwerke entstanden, um dringend benötigte Güter ins Land zu bringen. Wenn ein derartiges Regime kollabiert, stehen die Schmuggler ohne Job da und sehen sich nach anderen Waren um. Sie haben ja viele Kontakte, einige Leute auf der Payroll, kennen die Routen und so weiter. Für sie macht es wenig Unterschied, ob sie eine Ladung Öl, eine Ladung Drogen oder eine Ladung Frauen verschicken.
profil: 1909 wurde zum ersten Mal international der Versuch unternommen, den Drogenhandel zu kontrollieren – heuer wird das Jubiläum begangen. Angesichts von Guinea-Bissau oder Afghanistan hat man nicht den Eindruck, dass diese Kontrolle funktioniert.
Costa: Ihr Eindruck zeigt mir, dass unsere Botschaft nicht durchkommt. In den achtziger und neunziger Jahren war die Situation explosiv. In den vergangenen fünf Jahren haben sich aber sowohl Angebot als auch Nachfrage an Drogen stabilisiert. Das zeigen unsere statistisch sehr gut abgesicherten Berichte. Natürlich kann ein globaler Trend bedeuten, dass es in manchen Regionen schlechter und in anderen besser wird. Aber die Gesamtsituation ist sicher nicht außer Kontrolle – im Gegensatz zur öffentlichen Meinung funktioniert die Kontrolle.
profil: Schwer zu glauben.
Costa: Vergleichen wir doch einmal illegale Drogen, Tabak und Alkohol: All das sind Suchtmittel, die einen verboten, die anderen frei gehandelt. Tabak wird weltweit von rund 30 Prozent der Weltbevölkerung konsumiert und fordert jährlich fünf Millionen Menschenleben. Rund 25 Prozent trinken Alkohol, 2,5 Millionen sterben jedes Jahr an den Folgen. Fünf Prozent nehmen einmal pro Jahr illegale Drogen, süchtig sind 0,5 Prozent, die Zahl der Todesopfer liegt bei 200.000.
profil: Was beweist das?
Costa: Kontrolle wirkt. Drogen, die schwer erhältlich sind, werden deutlich weniger konsumiert als Drogen, die großflächig beworben werden. Das ist ein Faktum. Demgegenüber gibt es interessante Sinnestäuschungen. Bei Umfragen haben etwa 75 Prozent der Schüler angegeben, dass an ihrer Schule Drogen im Umlauf sind. Einen Deal beobachtet hatten aber bloß elf Prozent, selbst gekauft oder verkauft drei Prozent. Die öffentliche Wahrnehmung ist also eindeutig von der Realität abgekoppelt.
profil: Was halten Sie eigentlich davon, Drogen zu legalisieren, um den Schwarzmarkt und die Beschaffungskriminalität zu bekämpfen?
Costa: Wir müssen uns der Kriminalität im Zusammenhang mit Drogen bewusst sein, alles andere wäre unverantwortlich. Was ich nicht will, ist allerdings, ein Sicherheitsrisiko damit zu bekämpfen, dass Drogen so freigegeben werden wie Alkohol oder Tabak. Eine Legalisierung würde das Missbrauchsverhalten unvermeidlich in die Höhe treiben.
profil: Es gibt einen ähnlichen Vorschlag im Hinblick auf Afghanistan: Man sollte den Opiumbauern ihre Ernte legal für medizinische Zwecke abkaufen und so den Schwarzmarkt austrocknen.
Costa: Etwas Ähnliches wurde in Afghanistan schon im Frühjahr 2003 versucht. Die Briten haben über 100 Millionen Euro für ein Programm ausgegeben, bei dem die Zerstörung von Opiumplantagen mit Geld abgegolten wurde.
profil: Hat es funktioniert?
Costa: Nein, im Gegenteil. Binnen eines Jahres hatte sich der Anbau verdoppelt, weil die Bauern wussten: Wenn mir die Drogenhändler mein Opium nicht abkaufen, dann kriege ich Geld von den Briten. Und was die mögliche Nutzung für medizinische Zwecke anlangt: In vielen Ländern oder sogar Kontinenten existiert so gut wie keine Schmerzbehandlung. Das Leiden der Menschen dort ist furchtbar, und das liegt auch an der mangelnden Ausbildung des medizinischen Personals. Jedenfalls gibt es keine Nachfrage nach Morphium, die nicht durch eine bereits existierende Produktion gedeckt wäre. Am Weltmarkt erzielt Opium für medizinische Zwecke einen Preis von 30 bis 32 Dollar pro Kilo, in Afghanistan wird von den Drogenhändlern 100 Dollar dafür bezahlt. Da fällt den Bauern die Wahl ziemlich leicht.
profil: In Afghanistan wird versucht, den Drogenanbau durch die Schlägerung von Anbauflächen unter Kontrolle zu bringen. Halten Sie das für den richtigen Weg?
Costa: Wir haben andere Vorgangsweisen vorgeschlagen. Die Schmuggler sollten wirklich bestraft werden. Anders die Opiumbauern. Wir haben sie immer als soziales und politisches Thema gesehen. Sie bräuchten Unterstützung dabei, ihre illegalen Aktivitäten aufzugeben – Investitionen, alternative Entwicklungshilfe, Arbeitsmarktmaßnahmen. Erfahrungen aus Kolumbien zeigen, dass die Rückfallquote bei lediglich einem Prozent liegt, wenn man die Bauern einbindet und dazu bringt, ihre Felder selbst zu zerstören. Übernimmt das die Polizei oder das Militär, pflanzen bis zu 30 Prozent wenig später bereits wieder Kokain an.
profil: Das heißt, die NATO ist in Afghanistan am falschen Weg, was die Bekämpfung des Drogenanbaus anlangt?
Costa: Was die Bekämpfung des Drogenanbaus betrifft, tut die NATO gar nichts in Afghanistan. Die afghanische Nationalarmee hat vergangenes Jahr fünf Prozent der Anbauflächen zerstört. Was die NATO betrifft, gibt es dort einige mit Truppen stationierte Mitgliedsstaaten, die sich bereit erklärt haben, Drogenlabors zu zerstören und Transporte zu verhindern. Resultate in diese Richtung habe ich allerdings noch nicht gesehen.