Quelle: [Wiener Zeitung
>http://www.wienerzeitung.at/DesktopDefault.aspx?tabID=3941&alias=wzo&cob=477767]
Von Ronald Schönhuber
10 März 2010
Nicht mehr nur auf Dealerjagd: Konsumenten rücken in den Fokus der globalen Drogenpolitik.
Es war 1969, als Richard Nixon den Begriff erfand. Angelehnt an den von seinem Vorgänger Lyndon B. Johnson kreierten “Krieg gegen die Armut” rief der 37. US-Präsident den “Krieg gegen die Drogen” aus. Im Rahmen der auf 20 Tage angelegten Operation Intercept wurde im September 1969 jedes einzelne Auto, das von Mexiko in die USA unterwegs war, an den Grenzstationen durchsucht. Zusammen mit einer verstärkten Überwachung der Grenzen sollte damit verhindert werden, dass das immer beliebter werdenden Haschisch zur Haupterntezeit in großen Mengen ins noch von Flowerpower beseelte Amerika geschmuggelt wurde.
Aufzählung Grauzone Cannabis: Gestern Rauschgift, heute Medizin
Was als kleine Operation begann, hatte sich freilich zwanzig Jahre später zu dem Krieg ausgewachsen, als der der Kampf gegen die Drogen von Anfang an apostrophiert war. Die USA steckten Milliardensummen in die Vernichtung von südamerikanischen Drogenkartellen, schickten tausende Soldaten und Militärberater und ließen Coca-Plantagen von den Flugzeugen privater Firmen mit hochgiftigen Pflanzenvernichtungsmitteln einnebeln.
An der prinzipiellen Situation hat der Drogenkrieg, der in vielen Fällen von machtpolitischen Ambitionen im politischen Hinterhof der USA überlagert war, allerdings nicht viel geändert. Die in die Schranken gewiesenen Kartelle Kolumbiens wurden durch die Drogenbarone Mexikos ersetzt. Der Krieg, den Präsident Felipe Calderon dort seit 2006 gegen sie führt, hat mittlerweile 15.000 Tote gefordert, aber kaum nachhaltige Erfolge gebracht. Und in der westlichen Welt ist die Zahl der Drogenkonsumenten seit Jahren stabil geblieben, in den Entwicklungsländern nimmt sie sogar zu.
“In der internationalen Drogenpolitik läuft etwas schief, und das schon seit sehr langer Zeit”, sagt denn auch der niederländische Psychiater Fredrik Polak, der sich für einen grundsätzlichen Strategiewechsel im Umgang mit Suchtmitteln einsetzt. Der Ansatz, den Polak verfolgt, ist radikal: Statt auf Prohibition zu setzen, sollte die internationale Staatengemeinschaft Drogen unter bestimmten, aber nicht allzu strikten Auflagen freigeben. Eine eventuelle Erlaubnis für den Cannabis-Anbau durch Privatpersonen ist für Polak dabei aber nur ein erster Schritt. “Auch Kokain und Heroin könnten an Erwachsene an speziellen Verkaufsstellen in kleinen Mengen abgegeben werden”, sagt der Psychiater, der auch eines der führenden Mitglieder der europaweit agierenden und sich für liberalere Drogengesetze einsetzenden NGO Encod ist.
Britische Schützenhilfe
Die Freigabe von Drogen würde Polak zufolge zwar nicht das Problem der Abhängigkeit an sich lösen, aber den Süchtigen in Kombination mit Therapie ein besseres und nicht so sehr von Kriminalität bestimmtes Leben ermöglichen. Vor allem aber würde die Freigabe den von der Organisierten Kriminalität beherrschten und nicht regulierbaren Schwarzmarkt austrocknen. “Es ist ein verbreitetes Missverständnis zu glauben, dass nur weil Drogen verboten sind, die Leute sie nicht nehmen würden”, sagt Polak. “Eine regulierte Freigabe wird die Verfügbarkeit hingegen einschränken.” Angst, dass die Freigabe zu einer Verharmlosung und einem verstärken Ausprobierenwollen führen könnte, hegt Polak nicht. “Es gibt sehr viele Studien, die belegen, dass auch bei einer Freigabe nicht mehr Menschen Heroin probieren würden. Da ist die Angst viel zu groß”.
Schützenhilfe bekommt Polak in diesem Zusammenhang von unerwarteter Stelle. Bereits im Jahr 2005 stellte die britische Regierung in einem Geheimbericht, der über den “Guardian” sukzessive nach außen leckte, fest, dass der auf Prohibition setzende Drogen-Krieg gescheitert ist. Interventionsversuche hatten demnach zu keiner nachweisbaren Schädigung des Marktes geführt. Die Margen der Händler waren so hoch, dass es einer Sicherstellungsrate von 60 bis 80 Prozent bedurft hätte, um einen Effekt zu erzielen. Erreicht wurden aber lediglich 20 Prozent. Verhaftete Kleindealer würden zudem rasch durch neue ersetzt und die Bekämpfung der Drogenproduktion in den Entwicklungsländern würde das Problem nur von einem Land ins nächste verlagern.
2007 räumte auch ein CIA-Bericht ein, dass der Plan Colombia, mit dem die USA seit 1999 versucht hatten, die Lage in Kolumbien in den Griff zu bekommen, gescheitert war. Die Coca-Produktion war trotz des massiven Einsatzes so hoch wie zuvor. 2009 kam schließlich auch eine breit angelegte EU-Studie zum Schluss, dass das “globale Drogenproblem zwischen 1998 und 2007 nicht reduziert werden konnte”.
Therapie statt Strafe
Beim UN-Büro für Drogen- und Kriminalitätsbekämpfung (UNODC) kann man sich mit dem von Polak und Encod propagierten Legalisierungsansatz allerdings wenig anfreunden. “Das würde einen Tsunami an neuen Suchtkranken bringen”, sagt UNODC-Sprecher Walter Kemp. “Vor allem für die Entwicklungsländer ist das ein Rezept für ein Desaster”. Doch auch beim mitunter als konservativ verschrieenen UNDOC dürften 40 Jahre Drogenkrieg zu Abnutzungserscheinungen und neuen Strategien geführt haben. So stehen bei der noch bis zum Freitag in Wien stattfindenden 53. Jahrestagung der Sucht-stoffkommission – dem wichtigsten UN-Gremium für Drogenpolitik – vor allem Nachfragereduktion, Therapie und Entwicklungshilfe auf der UNODC-Themenliste.
“Es hat wenig Sinn, nur Anbaufläche zu zerstören, wir müssen die dahinterliegende Armut bekämpfen. Und wir müssen Drogensucht als Krankheit betrachten”, sagt Kemp. “Wer süchtig ist, sollte zur Therapie und nicht ins Gefängnis.” Zumindest finanziell hat sich dieser Ansatz schon unbestreitbar als erfolgreich erwiesen. Laut einer Studie der Universität von Los Angeles erspart das im Jahr 2002 in Kalifornien unter dem Titel Proposition 36 eingeführte Therapie-statt-Strafe-Programm dem Steuerzahler 2,50 Dollar an Folgekosten für jeden investierten Dollar.