An die Mitglieder des Gesundheitsausschusses des
Deutschen Bundestags
Nachrichtlich: dpa
Irreführung der Bundesregierung zu Cannabis als Medizin
Kritik an harter Haltung des Gesundheitsministeriums zur
medizinischen Verwendung von Cannabis
Sehr geehrte Damen und Herren,
Nach Medienberichten hat das Bundeskabinett am Montag beschlossen, der Empfehlung des Sachverständigenausschusses zu folgen und Cannabis in die Anlage 3 BtMG umzustufen, soweit es sich um arzneimittelrechtlich zugelassene Präparate handelt. Den Medien wurde ein wichtiger Fortschritt vorgegaukelt. Dabei ermöglicht diese Umstufung nur die Zulassung von Sativex, wie sie vom britischen Hersteller GW Pharmaceuticals für mehrere europäische Länder, darunter auch Deutschland, für die Behandlung der Spastik bei multipler Sklerose beantragt wurde.
Die Bundesregierung schmückt sich mit fremden Federn, nämlich einem Zulassungsantrag eines pharmazeutischen Herstellers. Gleichzeitig macht sie ihre eigenen Hausaufgaben nicht und behält ihre harte Linie gegen Patienten, die Cannabis medizinisch verwenden wollen, bei. Die Öffentlichkeit wird eher verwirrt als informiert. Auch die internationalen Medien berichten darüber, dass in Deutschland Cannabis für medizinische Zwecke erlaubt werden soll, obwohl sich für die Patienten zunächst nichts ändert.
Siehe entsprechende Meldungen von dpa hier und weitere Informationen unten:
Krankenkassen.de: Umfrage: Kaum Vorbehalte gegen Cannabis-Medizin
Krankenkassen.de:Grünes Licht für Cannabis-Medizin
Krankenkassen.de:Reform bei Cannabis-Medizin umstritten
Selbstverständlich ist jeder Fortschritt in diesem Bereich zu begrüßen, es ist allerdings irreführend, wenn eine Selbstverständlichkeit, die auch in anderen europäischen Ländern für eine Zulassung bereits umgesetzt wurde bzw. geplant ist, weil sie für eine Zulassung notwendig ist, als Fortschritt gefeiert wird. Es ist vor allem irreführend, wenn gleichzeitig wirkliche Fortschritte vom Bundesgesundheitsministerium mit allen politischen Möglichkeiten hartnäckig blockiert werden. Die Wirklichkeit sieht leider anders aus, als es die Meldungen aus der FDP und dem Gesundheitsministerium suggerieren wollen. So hat das Ministerium kürzlich das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in Bonn angewiesen, keine Ausnahmegenehmigungen für den Eigenanbau von Cannabis für medizinische Zwecke zu genehmigen.
Bereits im Jahr 2005 hatte das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte berechtigte Anträge auf Ausnahmegenehmigung für die medizinische Verwendung von Cannabis genehmigen müsse. Der Staat könne seine Bürger auch dadurch schädigen, dass er ihnen Möglichkeiten zur Linderung von Erkrankungen verweigere, und sei gehalten, Abhilfe zu schaffen. Im Falle der medizinischen Verwendung von Cannabis kämen am ehesten Genehmigungen zum Eigenanbau in Frage. Bisher wurden etwa 40 Ausnahmegenehmigungen erteilt. Diese Patienten können Cannabis in der Apotheke kaufen, müssen ihn aber selbst bezahlen und können sich ihr Medikament oft nicht leisten. Anträge auf einen wesentlich preiswerteren Eigenanbau wurden bisher nicht bearbeitet. Sie werden seit Jahren nicht bearbeitet, weil alle Verantwortlichen wissen, dass eine Ablehnung der Anträge vor den Gerichten keinen Bestand haben würde. Im Ministerium erhofft man sich, dass der Bedarf langfristig durch die Zulassung von Medikamenten auf Cannabisbasis durch pharmazeutische Unternehmen gedeckt wird.
Das britische Unternehmen GW Pharmaceuticals hat im Juli mitgeteilt, Zulassungsanträge für seinen Cannabisextrakt Sativex unter anderem in Frankreich, Italien und Deutschland gestellt zu haben. In Großbritannien und Spanien ist die Zulassung dieses Cannabis-Medikamentes bereits im Juni bzw. Juli diesen Jahres erfolgt. Für Deutschland wird eine Zulassung, die zunächst nur für Patienten mit einer Spastik bei multipler Sklerose gilt, im Jahr 2011 erwartet. Das Bundeskabinett hat mit seinem Beschluss am Montag sicher gestellt, dass eine solche Zulassung auch in Deutschland umgesetzt werden kann. Alle anderen Patientengruppen, wie Schmerzpatienten oder Krebskranke, können von dieser Veränderung nicht profitieren. Zulassungen für weitere Indikationen werden sicherlich folgen, ein Prozess der viele Jahre dauern wird, und auch dann nicht alle relevanten Indikationen abdecken kann. Sollen die Betroffenen auf Jahre weiterhin wie Kriminelle behandelt werden, obwohl das Gesundheitsministerium durch entsprechende Urteile zu einer Änderung seiner Genehmigungspraxis verpflichtet wurde? Das Ministerium könnte und müsste handeln, spielt aber offensichtlich auf dem Rücken von Schwerkranken weiterhin auf Zeit.
Die Betroffenen warten noch auf eine Abkehr von der harten Linie gegen Kranke, die von Cannabis medizinisch profitieren. Sie warten noch auf ein Zeichen von Liberalität aus dem Bundesgesundheitsministerium.
Mit freundlichen Grüßen
Franjo Grotenhermen