Quelle: Financial Times Deutschland
31. Mai 2010
Drogenbanden etablieren sich in immer mehr Ländern als Staat im Staat. Mit Repression allein ist das Problem nicht zu lösen. Die Politik muss den Geldströmen die Grundlage entziehen.
Wie der “Krieg gegen Drogen” derzeit funktioniert, zeigt das Beispiel Jamaika: 73 ihrer eigenen Bürger hat die jamaikanische Regierung bisher getötet bei dem Versuch, einen von den USA gesuchten Drogenboss zu fangen.
Das traurige Resultat ist absehbar: Die Regierung Jamaikas verliert noch weiter an Rückhalt, vor allem bei den Armen. Drogenbosse dagegen, die Slums mit Strom, Ärzten und Schulen versorgen, gewinnen an Ansehen. Am Ende steht das, was in immer mehr Ländern zur Normalität wird: Die Regierung verliert die Herrschaft über einen Teil ihres Territoriums, an ihrer Stelle übernimmt die organisierte Kriminalität.
Jamaika ist nur das jüngste Beispiel. In anderen Regionen der Welt ist der Drogenkrieg so alltäglich, dass er nicht einmal mehr Schlagzeilen produziert. Ein Blick auf die Weltlage genügt, um festzustellen, dass der “War on Drugs”, den US-Präsident Richard Nixon 1972 ausgerufen hatte, gescheitert ist.
Mit harter Hand versucht die US-Regierung seither, sowohl Angebot wie auch Nachfrage nach harten Drogen einzudämmen. Das Ergebnis ist ernüchternd: Weltweit stieg der Anteil der Drogenkonsumenten an der Gesamtbevölkerung nach Uno-Angaben innerhalb von zehn Jahren von 3,7 auf 4,7 Prozent der Bevölkerung. In den USA, dem größten Verbraucherland, erhöhte die harte Strafverfolgung zwar die Zahl der Gefängnisinsassen dramatisch, ohne jedoch den Drogenverbrauch zu senken.
Reiche Mafia, arme Polizei
Auf der Angebotsseite sieht es nicht besser aus. In knapp 30 Jahren ist es nicht gelungen, den Anbau und Handel harter Drogen in irgendeinem Land der Welt dauerhaft zurückzudrängen. Kurzfristige Erfolge in einem Land, etwa in Kolumbien, führten lediglich dazu, dass die Drogenmafia sich auf andere Regionen verlegte.
Und nicht nur das. In vielen Ländern bilden Drogenbanden mittlerweile einen Staat im Staate. In Mexiko stehen in mehreren Provinzen selbst hohe Polizeichefs, Richter und Staatsanwälte auf der Gehaltsliste der Drogenbosse.
In Rio de Janeiro leben zwei Millionen Menschen, ein Viertel der Einwohner, in Stadtteilen, die vollständig von der Drogenmafia kontrolliert werden. Und in dem westafrikanischen Staat Guinea-Bissau, der sich in den vergangenen Jahren zu einem wichtigen Zwischenhandelsplatz für Kokain auf dem Weg von Lateinamerika nach Europa entwickelt hat, putschte sich Anfang April der Admiral José Américo Bubo Na Tchuto in eine Schlüsselstellung direkt hinter dem Präsidenten. Na Tchuto gilt als wichtigster Drahtzieher des Drogengeschäfts von Guinea-Bissau.
Teil 2: Warum der Drogenkonsum kontrolliert freigegeben werden sollte
Das Geheimnis des unheimlichen Erfolgs der Drogenmafia ist Geld. Das Geld erlaubt es den Drogenringen, modernste Waffen ebenso zu kaufen wie willfährige Staatsbedienstete. Und sie nutzen es, um sich das Wohlwollen der Bevölkerung in den von ihnen beherrschten Gebieten zu sichern.
Versuche, den Geldfluss der organisierten Kriminalität durch Gesetze gegen Geldwäsche zu stoppen, sind fehlgeschlagen. Im Gegenteil: Die internationale Deregulierung der Finanzmärkte und die Verlagerung auf elektronische Übertragungswege haben die Geldwäsche sogar erleichtert.
Angesichts des grandiosen Scheiterns der bisherigen Strategie ist es an der Zeit, die Drogenpolitik völlig neu zu denken. Die großen Verbraucherregionen – USA, EU, China, Lateinamerika – sollten den Drogenkonsum kontrolliert freigeben. Ein Verkauf unter staatlicher Kontrolle der Vertriebswege könnte erreichen, was Jahrzehnte der Strafverfolgung nicht geschafft haben: den Drogenhandel unattraktiv zu machen.
Eine weitgehende Legalisierung würde die exorbitanten Gewinne drastisch drücken, die derzeit dadurch entstehen, dass das Geschäft in der Illegalität abläuft. So würde einem Teil der organisierten Kriminalität der Nährboden entzogen und die Grundlage dafür geschaffen, dass Polizei und Militär in den Anbau- und Transitländern die Drogenmafia tatsächlich zerschlagen und den Handel in legale Bahnen leiten können.
Vorbild Alkohol
Prominentes Vorbild für dieses Vorgehen ist die Aufhebung der Alkoholprohibition in den USA 1933. Das völlige Alkoholverbot hatte der Mafia eine willkommene Einnahmequelle verschafft und ihr geholfen, weitverzweigte Strukturen aufzubauen. Erst nach der Legalisierung gelang es, diese zu zerschlagen. Der Alkoholkonsum stieg zwar weiter, jedoch tranken die Leute nun in erster Linie Bier und Wein – die Schmuggler dagegen hatten vor allem Hochprozentiges verkauft.
Ähnlich würde auch der Konsum harter Drogen durch eine Legalisierung nicht zwangsläufig stark steigen – vorausgesetzt, die Freigabe wird flankiert von Aufklärungsprogrammen und einer konsequenten Beschränkung auf staatlich überwachte Abgabestellen. Verabschieden müssten sich die Regierungen lediglich vom ohnehin unrealistischen Ziel einer drogenfreien Welt.
Sie müssten akzeptieren, dass ein Teil ihrer Bürger trotz aller schädlichen Nebenwirkungen Rauschmittel konsumiert. Doch wenigstens würden diese Konsumenten mit ihrem Geld nicht mehr ein globales Mafianetzwerk am Laufen halten.