Quelle: Welt Online
7 Februar 2011
Geld aus Drogengeschäften korrumpieren Regierungen und lösen weltweit Gewalt aus. Warum wir einen pragmatischeren Ansatz zur Bekämpfung brauchen.
Von Fernando Henrique Cardoso, von 1995 bis 2003 Präsident Brasiliens und nunmehr Vorsitzender der Globalen Kommission zur Drogenpolitik, und Michel D. Kazatchkine, Geschäftsführer des Globalen Fonds zur Bekämpfung von AIDS, Tuberkulose und Malaria.
Aufgrund der direkten Demokratie in der Schweiz können die Bürger dieses Landes durch das Sammeln von genügend Unterstützungsunterschriften landesweite Referenden über Regierungspolitik und Gesetze veranlassen.
Nach einer Welle von Aids-Todesfällen in den 1980er Jahren, sahen sich die Schweizer mit einem Problem konfrontiert, das in den USA, Russland, Lateinamerika, der Europäischen Union, Südasien und anderen Regionen dieser Welt schon Millionen Menschenleben gekostet hat. Intravenös injizierende Drogenkonsumenten – vor allem Heroinabhängige – hatten öffentliche Plätze in Zürich und anderen Schweizer Städten in so genannte „Needle Parks“ verwandelt. AIDS erwies sich als Krankheit, die offenbar auch vor dem Wohlstand nicht Halt macht.
Die Schweizer reagierten auf das Problem nicht mir jener Art von Nachlässigkeit, mit der die russische Regierung bislang auf ihre Heroin- und HIV-Epidemien reagiert hat – dort gibt es über zwei Millionen Drogenkonsumenten und eine geschätzte Million Menschen mit HIV-Infektion, von denen sich über 60 Prozent durch kontaminierte Nadeln ansteckten. Ebenso wenig reagierten die Schweizer mit einem „Krieg gegen Drogen“ oder mit noch mehr Geld für mehr Polizei, mehr Gefängnisse und zwingende Haftstrafen.
Dieser Krieg ist nämlich endgültig verloren. In den USA sitzen heute mehr Menschen im Gefängnis als in jedem anderen Land und dies ist größtenteils auf die sprunghaft steigende Zahl von Verurteilungen aufgrund von Drogen zurückzuführen, wobei die Zahl afroamerikanischer und hispanoamerikanischer Insassen überproportional hoch ist.
Der Krieg gegen Drogen ermöglichte den Drogenkartellen höhere Profite als jemals zuvor und verwandelte in Lateinamerika ganze Städte in Feudalgebiete. Drogengelder korrumpieren demokratische Regierungen und Institutionen der Gesetzesvollstreckung auf der ganzen Welt. Gewalt im Zusammenhang mit Drogen hat in Afghanistan, Burma, Kolumbien, den USA und Mexiko unzählige Opfer gefordert.
Die Schweizer überprüften die Drogenpolitik ihrer Regierung mit Pragmatismus. Fachleute aus dem medizinischen Bereich übernahmen die Führung einer Kampagne, mit der die Regierung – durch die Mechanismen der direkten Demokratie – dazu gebracht werden sollte, ihren Schwerpunkt von Haft und Strafen für Drogenkonsumenten hin zu einer Gesundheitspolitik zu verlagern, die auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse erhebt, welche Ansätze funktionieren.
Die Schweizer führten Methadonprogramme ein und um die Ansteckung mit HIV zu vermeiden, wurde der Nadelaustausch – auch in Gefängnissen – etabliert. Überdies wurden im großen Maßstab Drogenkonsumräume geschaffen. Das Schweizer Bundesamt für Gesundheit überwachte auch ein Experiment, im Zuge dessen man Heroin an Personen verschrieb, die über lange Zeit von Opiaten abhängig waren.
Die sorgfältige Auswertung dieses Ansatzes durch die Schweizer Regierung zeigte, dass eine heroingestützte Therapie sowohl machbar als auch kosteneffizient ist und dass sie für die Patienten mit signifikanten Verbesserungen der Gesundheit einhergehen kann. Außerdem wurde damit ein Beitrag zu einem erstaunlichen Rückgang der Drogenkriminalität geleistet. Die Schweizer Öffentlichkeit war von den Vorteilen der heroingestützten Therapie so überzeugt, dass die Bürger diese Politik trotz politischer Opposition im eigenen Land und Kritik des Internationalen Suchtstoffkontrollrats in zwei landesweiten Referenden unterstützten.
Die Schweiz ist ein konservatives Land. Der Handel mit Suchtstoffen bleibt weiterhin illegal. Im November 2008 wurde ein Antrag für eine Entkriminalisierung von Cannabis nach holländischem Muster abgelehnt. Und manche politischen Entscheidungsträger fragen sich, ob sich der Schweizer Ansatz in der Drogenpolitik zu sehr auf die öffentliche Gesundheit und zu wenig auf die Bekämpfung von Armut und soziale Ausgrenzung konzentriert, mit der sich die Drogenkonsumenten konfrontiert sehen.
Der pragmatische Ansatz der Schweiz hinsichtlich des Drogenmissbrauchs bietet dennoch wichtige Lehren, die auch auf die USA, Russland und viele andere, von Drogen und HIV/AIDS belastete Länder in deren Einflussbereich angewendet werden können. Ähnlich verhält es sich mit den Erfahrungen in Portugal, das vor einem Jahrzehnt die EU-Rangliste der mit Drogen in Zusammenhang stehenden HIV/AIDS-Fälle anführte.
Die Entscheidung Portugals aus dem Jahr 2001, den Besitz illegaler Drogen zu entkriminalisieren, führte nicht nur zu mehr Drogenkonsumenten in Behandlung (statt im Gefängnis), sondern auch zu einem bedeutenden Rückgang der Ansteckungen von Drogenkonsumenten mit HIV.
Eine Lehre für politische Entscheidungsträger besteht darin, dass es von zentraler Bedeutung ist, die neuen Programme auf Grundlage strenger wissenschaftlicher Überprüfung – und nicht auf Basis populistischer Rhetorik, religiösem Moralismus und Großstadtlegenden – durchzuführen.
Dies erfordert die Koordination von Polizeiarbeit und Gesundheitsprogrammen innerhalb eines einheitlichen Rahmenwerks, Investitionen in Forschung und öffentliche Aufklärung über Drogenpolitik, die Öffnung neuer Programme gegenüber unabhängiger Überprüfung und die Fähigkeit, ideologischer Kritik auf nationaler und internationaler Ebene mit wissenschaftlichen Beweisen und Pragmatismus entgegenzutreten.
Um diese und andere bedeutende Lehren zu vermitteln sowie weltweit für eine effektive, schadensmindernde Politik – sowie eine breitere öffentliche Debatte über effizientere und humanere Drogenpolitik – einzutreten, haben wir gemeinsam mit bedeutenden Persönlichkeiten die Globale Kommission zur Drogenpolitik ins Leben gerufen, die im Januar in Genf ihre Gründungsversammlung abhielt.
Unser Ziel ist zu beweisen, dass der Krieg gegen Drogen verloren ist. Die Schweiz, Portugal und andere Länder haben gezeigt, dass es einen besseren Weg gibt, indem man Pragmatismus und Wirtschaftlichkeit mit Mitgefühl und Respekt vor den Menschenrechten kombiniert.