4. März 2008
Von: T. K.
Mit Normen, Polizeieinsatz und international koordinierten Abwehrmassnahmen ist es bisher nicht gelungen, Anbau, Verarbeitung
und Transport illegaler landwirtschaftlicher Rohwaren (Drogen) aufzuhalten. Sehr scharf greifen jedoch die Gesetze des Marktes.
In seiner bisher einzigen und einigermassen zuverlässigen Analyse über das weltweite Marktvolumen hat das Wiener Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) den Umsatz von Cannabis, Opium und Kokain auf Abnehmerebene für das Jahr 2003 auf 278 Mrd. $ geschätzt. Ein erheblicher Teil dieses Wertes entstand (wegen der Illegalität) auf dem Transport zu den Konsumenten. Mit 79,5 Mrd. $ war der Exporterlös der Produzentenländer aber immer noch erheblich grösser als die Vergleichszahlen aus der Verschiffung von Fleisch (52,5 Mrd. $), Getreide (40,7 Mrd. $) oder Tabak (21,6 Mrd. $): Die wichtigsten weltweit gehandelten landwirtschaftlichen Rohstoffe sind somit illegaler Natur.
Hanf mit dem grössten Handelsvolumen
Der verbreitetste illegale Rohstoff ist mit Abstand der Hanf (Cannabis sativa). Das UNODC ermittelte, dass in den zwölf Monaten vor Veröffentlichung seines World Drug Report 2007 rund 160 Mio. Menschen oder 3,8% der Weltbevölkerung zwischen 15 und 64 Jahren mindestens einmal Cannabis sativa in Form von Gras oder Harz konsumiert hatten. Der Erlös lässt sich wegen der grossen Verbreitung des Anbaues (bis hin in die Stuben der Konsumenten) nicht ermitteln. Das wichtigste einzelne Produktionsgebiet dürfte weiterhin das marokkanische Rif-Gebirge sein, das mit seinen Hanfharzprodukten vor allem den europäischen Absatzmarkt beliefert. Laut einer von der Regierung in Rabat mitfinanzierten UNODC-Studie sollen dort im Jahr 2003 noch etwa 47 000 t Hanf erzeugt worden sein. Der Endverkaufspreis für das daraus extrahierte Harz wurde auf rund 12 Mrd. $ geschätzt. Davon erhielten die im Anbau, in der Verarbeitung und der Harzpressung tätigen Bauern nur 214 Mio. $, der Rest endete in den Taschen der Schieber.
Afghanistan lebt vom Opium
An zweiter Stelle folgen das aus Schlafmohnkapseln extrahierte Opium und seine Derivate mit 15,6 Mio. Konsumenten oder 0,4% der Weltbevölkerung (einschliesslich 11,1 Mio. Heroinkonsumenten). 93% der illegalen Opium-Weltproduktion fallen unterdessen in Afghanistan an. Trotz den von den amerikanischen Behörden verlangten und teilweise mit eigenem Personal durchgeführten Erntevernichtungsmassnahmen ist die Schlafmohn-Anbaufläche in diesem politisch unsicheren Land 2007 nochmals um 17% auf 193 000 ha ausgeweitet worden. Dank ausnehmend günstigen klimatischen Bedingungen soll es aber gelungen sein, die Opiumproduktion sogar um 34% auf 8200 t anzuheben.
Den 509 000 afghanischen Opiumbauernfamilien (rund 3,3 Mio. Menschen oder 14,3% der Gesamtbevölkerung) floss 2007 rund 1 Mrd. $ zu. Das sind 13% des offiziellen Bruttoinlandproduktes. Der Exportwert dürfte im letzten Jahr dank zunehmender vertikaler Integration – mehr als 90% der Verarbeitung zu Heroin erfolgen bereits in inländischen Labors – um 29% auf 4 Mrd. $ gestiegen sein. Der Erlös, der dem Land aus dem Geschäft mit Opium und Heroin im mohammedanischen Kalenderjahr 1385 (März 2006 bis März 2007) erwuchs, entsprach gemäss UNODC-Schätzungen 53 (Vorjahr 45)% des vom statistischen Amt berechneten Bruttoinlandproduktes. Der IMF kommt mit 40 (37)% auf etwas tiefere Werte.
Flexibler Kokainanbau
Knapp hinter Opium und seinen Derivaten folgt auf der Liste der nichtsynthetischen Drogen Kokain. Innerhalb von 12 Monaten sollen 14,3 Mio. Konsumenten oder 0,3% der Weltbevölkerung von dieser Droge Gebrauch gemacht haben. Die gesamte Kokablätter-Anbaufläche in den drei südamerikanischen Ländern Kolumbien, Peru und Bolivien verminderte sich 2006 (gemäss Satellitenaufnahmen und lokalen Ermittlungen) um 2%. Dank raffinierteren Anbau- und Verarbeitungsmethoden sei die Kokainproduktion (wie aufgrund von Beschlagnahmungen und Marktbeobachtungen festgestellt wird) aber um 0,4% auf 984 t gestiegen.
Mehr noch als die Hanf- und Schlafmohnfelder in anderen Weltgegenden sind die kolumbianischen Kokablätter-Pflanzungen in den letzten Jahrzehnten mit Gift aus der Luft bespritzt oder am Boden zerstört worden. Die auf Betreiben der amerikanischen Regierung durchgeführten Aktionen führten jedoch nicht zur Drosselung des regionalen Kokain-Angebots. Im Jahr 2006 verminderte sich die Anbaufläche in Kolumbien zwar um 9%, in Peru stieg sie jedoch um 7% und in Bolivien sogar um 8%. Die Produktion breitet sich wegen des intensivierten «War on Drugs» nun immer mehr auch auf andere, bisher «saubere» Andenländer, Ecuador etwa, aus. Die in den 1990er Jahren noch führenden regional tätigen kolumbianischen Kokainkartelle von Medellín und Cali wurden zwar mit Polizei und Armee zerschlagen, doch auch dies brachte wenig. Die Branche hat sich rasch (hauptsächlich von Mexiko aus) neu organisiert und ist – wie Beschlagnahmungen grosser Transportmengen erkennen lassen – wieder in der Lage, komplizierte logistische Aufgaben zu lösen.
Effiziente Marktversorgung
Wegen der Illegalität erwächst den nichtsynthetischen Drogen auf dem Transport zu den Konsumenten eine weitaus grössere Wertsteigerung als den legalen Commodities. Die Transportkosten, einschliesslich der Suche und Erschliessung neuer Routen, der Korrumpierung behördlicher Kontrollsysteme und der Beschaffung politischer Protektion, sind aber ebenfalls sehr viel höher. Dazu kommt, dass der illegale Handel nicht auf die Handelserleichterungen des legalen zurückgreifen kann. Es gibt keine verbindliche Produktnormierung, keine Markttransparenz, keine liquiden Handelsplätze, keine Bankfinanzierungen, keinen Versicherungsschutz usw. Und trotzdem gestaltet sich der Preisverlauf auf den Konsummärkten sehr ruhig. Ausser im nordamerikanischen Heroin-Detailhandel, wo sie in den letzten Jahren geringfügig angestiegen sind, gehen die Absatzpreise überall und in allen Kategorien eher zurück. Dies kann nicht mit Nachfragereduktionen erklärt werden; die nationalen Gesundheitsbehörden stellen nirgends Verminderungen des Drogenkonsums fest, und in Russland und anderen Transformationsstaaten nimmt er sogar stetig zu. Die im globalen Kontext leicht steigende Nachfrage bei gleichzeitig eher sinkenden Preisen beweist, dass es in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten nicht gelungen ist, die Versorgung der Konsummärkte zu drosseln.
Behördeneingriffe können aber zu regionalen Verschiebungen der Produktion führen. Gleiches bewirken politische Destabilisierungen; auch diese verändern die komparativen Vorteile einzelner Produktionsstandorte. So ist die in den letzten Jahren erfolgte scharfe Drosselung des Opiumanbaues im «goldenen Dreieck» zwischen Thailand, Burma und Laos eine direkte Folge günstigerer Anbau- und Verarbeitungsbedingungen in Afghanistan. Ähnliche Verlagerungen sind zurzeit auch zwischen Marokko und Afghanistan zu beobachten. Zwischen 2003 und 2005 hat sich die Hanfanbaufläche im Rif-Gebirge von 134 000 ha auf 76 400 ha vermindert, dafür sind in Afghanistan 70 000 ha hinzugekommen. Die Produktion wandert – typisch für globalisierte Märkte – dahin, wo sie weniger Kosten verursacht. Und dies ist seit dem 11. September 2001 und den anschliessenden innenpolitischen Wirren ganz klar Afghanistan.
Entwicklungsbehinderungen
Erstaunlich ist aber auch die Effizienz bei der Legalisierung der Erlöse. Die Massnahmen zur Abwehr der Geldwäscherei sind in den letzten Jahren mit der sukzessiven Stärkung der von den G-7-Staaten ins Leben gerufenen Financial Action Task Force on Money Laundering, dem Abschluss wichtiger Uno-Resolutionen (Vienna Convention, Palermo Convention) und der staatlichen Normensetzung im Rahmen der Egmont Group erheblich verschärft worden, ohne dass es gelungen wäre, der Legalisierung von Geldern aus krummen Geschäften Herr zu werden. So wie es den Organisatoren der Drogenbranche gelingt, die Absatzmärkte ausreichend zu versorgen, sind sie auch in der Lage, sich genügend Mittel zur «Pflege» ihres Arbeitsumfeldes zu beschaffen: Den Bauern werden die Ernten vorfinanziert, lokale Behörden und Kontrollstellen müssen korrumpiert, kriminelle Organisationen, Stammesfürsten, Warlords und aufständische Bewegungen mit Einfluss auf das gesellschaftliche Umfeld (Guerillagruppen in Kolumbien, Taliban in Afghanistan) zufriedengestellt werden.
Die so verwendeten Gelder bringen im Gegensatz zu den in den Anbau legaler Rohstoffe gesteckten Investitionen in der Regel keine wirtschaftliche Entwicklung und höchstens punktuellen Wohlstand. Die Rechtssicherheit leidet, die legale Wirtschaft wird durch das rücksichtslose Konkurrenzverhalten der mit Drogenerlösen finanzierten «Front Companies» bedrängt, korrumpierte Beamte sind weniger in der Lage, faire wirtschaftliche Rahmenbedingungen zu garantieren, es kommt zu Reformstaus, Portfolioinvestitionen werden durch höhere Risikozuschläge auf den Zinsen behindert, ausländische Direktinvestoren halten sich zurück.
Diese Störwirkungen tendieren dazu, über die Grenzen der Produktionsländer auszuufern. Jüngstes Beispiel ist die Unterwanderung der Behörden von Guinea-Bissau und anderer westafrikanischer Staaten, über die in letzter Zeit ein wachsender Anteil des Kokain-Transfers von Südamerika zu den europäischen Verteilermärkten abgewickelt wird. Gleiches lässt sich aber auch am Rand der neuen Opium- und Heroinrouten von Afghanistan nach Russland und China beobachten. Überall, wo Drogen transportiert werden, breiten sich institutionelle Verunsicherung, Korruption und auch Drogenkonsum aus: ein hoher Preis für den amerikanischen «War on Drugs».